„Chum übere“
Von: Elisha
Eigentlich müsste er es ja inzwischen gelernt haben! Ich halte nichts davon, meinem volljährigen Sohn Vorhaltungen zu machen, aber er sollte es doch ernster nehmen, sich zu bewerben. Als seine Firma insolvent wurde und er seinen Job verlor, war er erstmal in ein tiefes Loch gefallen. Schliesslich hatte er damit gerechnet, in dem Betrieb Karriere zu machen und langsam aufzusteigen. Nach der Ausbildung im Garten- und Landschaftsbau hatte er gut gearbeitet und hätte demnächst ein eigenes Team anführen sollen. Stattdessen war er jetzt arbeitslos.
Beim Abendessen war ich schneller mit meinem Teller fertig und überlegte, wie ich geschickt agieren sollte.
„Franco, soll ich dir bei deinen Bewerbungsunterlagen helfen?“, platzte ich dann doch trotz aller Vorsätze heraus. Ich arbeitete in einem Büro und hatte auch unsere jungen Leute nach der Ausbildung unterstützt.
„Ach, Mama, lass mal.“ Franco hielt die Gabel in seiner riesigen Hand und schob ein Häufchen Kartoffelpüree in die Sauce auf seinem Teller. Er drehte es, bis es bräunlich war. Dann stopfte er es zufrieden in den Mund.
„Das Deckblatt kann ich auf der Arbeit drucken, wenn du weisst, wie du es gestalten willst.“
„Hm.“
„Willst du dich nicht beim Schindler bewerben?“
„Jo, hab ich vor.“
Gut, das sollte erstmal reichen. Ich wechselte das Thema.
„Ich gehe gleich noch zur Inthronisation der Frau Fasnacht. Willst du mit?“
„Jo, gut.“
„Ich mach mich noch zurecht. Dann gehen wir um acht Uhr los?“
Er nickte.
Es war Fasnacht, und ein bisschen wollte ich mich auch verkleiden. Ich heftete Schmetterlinge aus Papier an meine helle Jacke und malte mir einen Marienkäfer auf die Wange. Zum Abschluss setzte ich mir einen Haarreif mit wackelnden Bommeln als Fühler auf. Im Flur wollte ich noch in den Spiegel gucken und erstarrte. Vor mir stand eine mannsgrosse Figur in grellem Rosa. Francos athletischer Körper steckte in einem riesigen Hasenkostüm, und er hatte sich Schnurrbarthaare ins Gesicht gemalt. Ich prustete los.
Auf der Strasse tummelten sich die Leute, teilweise in Alltagskleidung, teilweise mit bunten Perücken und auffälligen Utensilien. Vor mir gingen zwei junge Frauen, die um ihre Taillen aufgeblasene Schwimmringe trugen. Eine Guggemusik spielte, und ein Stück weiter sahen wir, wie die Figur der Frau Fasnacht in leuchtendem Rot und Gelb auf einer Sänfte thronend zum Festplatz gerollt wurde. Ein paar Schritte weiter erkannte ich in einem Zuschauer mit rot glitzerndem Zylinder den Inhaber des Garten- und Landschaftsbaubetriebes Schindler. Er wechselte mit meinem Sohn Blicke und beide nickten sich zu.
„Chum übere“, rief er - dem Fasnachtsmotto entsprechend - Franco zu. Der riesige Hase näherte sich ihm. „Bist nicht mehr bei Kallunke?“
„Nee, pleite.“
„Kannst du Bäume schneiden?“
„Ja. Fortbildung.“
„Kannst du Mittwoch anfangen?“
„Jo.“
„Bring die Papiere mit.“
Ich konnte es kaum glauben, aber mein Herz hüpfte. Mein Sohn hatte wieder Arbeit! Ich wartete, bis er zu mir kam und drückte ihn an mich. Rosa Plüschfasern drangen mir in die Nase.
„Willst du eine Mappe für deine Papiere?“, fragte ich leise.
„Hab ich.“ Er grinste breit. „Aber du kannst mir ja ein Deckblatt mit einem rosa Häschen machen.“
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