Zeitenwechsel
Von: Elisha
Vielleicht war es ja doch eine gute Idee, sich telefonisch zu einem späten Frühstück zu verabreden. Der Tisch ist schon gedeckt; die Zeitschriften und Briefe, die ihn sonst bevölkern, zu ordentlichen Stapeln an den Rand gehäuft.
Zeitenwechsel (Foto: Franziska Kleinschmidt / pixelio.de)
Honig, Quark, Tassen, Teller und sogar Eierbecher stehen bereit. Auch ich gebe mir Mühe, habe die Haare frisch gewaschen und den Pullover an, den Frank mir geschenkt hat. Kleine Zeichen guten Willens, Friedenszeichen.
Der Geruch von frisch gemahlenem und gekochtem Kaffee macht mich immer zuversichtlich. Ein Blick über den Tisch, ob ich noch was helfen soll. Alles da, sogar das Salz. Ich setze mich und schenke mir eine halbe Tasse ein. Frank hat meine Brötchen in einen Korb gefüllt und schneidet sich eins auf. Als ich mir auch eins nehmen will, fällt mein Blick auf die Wand hinter ihm.
Der Fleck entpuppt sich als ein längliches Insekt mit aufgestellten Flügeln. Mit Unbehagen fällt mir der letzte Sommer ein, Franks rabiate Vorgehensweise, erschlagene Fliegen und eine zerdrückte Wespe. Ich springe auf, Glas aus dem Schrank, den obersten Briefumschlag gefasst, „Motte, Rettung naht, ich komme.“
Beinahe stosse ich mit Frank zusammen, der gerade die Eier abschrecken will.
„Du hast da eine Motte“, sage ich und will an ihm vorbei.
„Mensch, mach doch nicht so eine Hektik“, erwidert er unwillig, nimmt mir das Glas aus der Hand und schiebt mich zu meinem Stuhl zurück. „Ausserdem ist das ein Schmetterling.“
Krawumm, da ist er wieder, der Streit der letzten Tage. Wir wollten neu anfangen, ihn ignorieren, aussitzen, aber er hängt wie eine schwere Wolke zwischen uns. Dicke Luft. Frank wirft mir ein paar Worte zu, „Motte“, „Schmetterling“ ...Sein Dozieren prallt an meinem versteinerten Gesicht ab, seine Worthülsen sind nur Stellvertreter, und das Wesentliche kommt nicht zur Sprache. Es geht doch nicht um Falter!
Ein Bissen vom Brötchen würde mir jetzt im Halse stecken bleiben, mein Atem stockt. Ich stehe wortlos auf und gehe nach draussen.
Unter dem Baum im Schatten des Hauses hat sich der Reif auf einem klar abgesetzten Rechteck erhalten. Der gefrorene Boden knarrt unter meinen Schritten, und ein dicker, weisser Pelz hat sich um die Halme gelegt. Ich sauge die Winterluft ein und fröstele, trotz des dicken Norwegerpullovers.
Zwei Meter weiter ist plötzlich Frühling. Saftiges Grün, die Sonne hat alles freigeleckt und wärmt mir jetzt den Rücken. Da , ein Zirpen im Garten der Nachbarn. Drei, nein vier Meisen fliegen über die Hecke herüber und umflattern den alten Mirabellenbaum. In der Ferne sehe ich, wie Elstern sich umkreisen. Ich lege meinen Kopf in den Nacken und bestaune das wolkenlose Blau über mir. So lang vermisst! Endlich wieder, nach all dem trüben Niesel! Ganz bewusst erlebe ich das neue Jahr, das noch ganz am Anfang ist, hoffe auf seine Möglichkeiten. Noch ein paar Atemzüge, dann gehe ich wieder ins Haus.
Frank schaut von seinem Magazin auf, als ich wieder in die Küche komme.
„Was nun?“, fragt er.
Scheue Blicke zwischen uns, Angst auf beiden Seiten.
„Frühstück?“ Mehr ein Vorschlag, als eine Frage. Ich kippe meinen kalten Kaffee in die Spüle und schütte mir frischen ein, heiss und duftend.
„Heidi, wir müssen noch mal reden“, setzt Frank vorsichtig an. Sein Blick ist ernst, doch nicht unfreundlich. Ich seufze erleichtert, schürze meine Lippen und sende ihm einen Kuss durch die Luft zu.
In dem Moment bewegt sich der Falter an der Wand. Ganz langsam stellt er seine bunten Flügel auf…
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