Der rote Faden ist nicht gefragt
Von: Hans Berger
Menschen funktionieren grundsätzlich anders wie Maschinen oder Computer: Bei der Technik zählt die Masse an Daten (Big Data). Je genauer und detaillierter etwas beschrieben wird, desto wahrscheinlicher trifft das System die passende Entscheidung. Der Mensch hingegen braucht nur wenige, dafür aber aussagekräftige Informationen (Smart Data) und war damit über Jahrtausende hinweg erfolgreich. Der Mensch hatte früh - wohl eher instinktiv - erkannt, dass er geführt werden muss, dass er Orientierung, einen roten Faden braucht.
Dieser rote Faden ist heute jedoch nicht mehr gefragt. Wir leben in einer schnelllebigen Zeit, die geprägt ist durch Internet, Globalisierung, Kapitalismuskrise sowie durch Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. In Ermangelung von verlässlichen Leitlinien haben daher Psychologen, Psychiater, Coachs unterschiedlichster Ausrichtung Hochkonjunktur.
Auch wenn wir in vielen Bereichen vergleichsweise noch wie auf einer Insel der Glückseligen leben, interessiert beispielsweise die jahrzehntealte Standardfrage im Bewerbungsgespräch „Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?“ eigentlich niemanden mehr. Zwar sollte man noch immer Wünsche und Ziele haben, weil sie eine Triebfeder für das eigene Handeln seien. Sich zu fest an etwas zu klammern, könne jedoch zu sehr entmutigen, wenn man merke, dass die Ziele zu erreichen seien.
Darum lautet die allgemein gültige Losung heute: „Wer sich zu sehr auf ein Ziel fixiert und starr einem roten Faden folgt, verliert die Umgebung aus den Augen, und dem entgehen unter Umständen andere, mitunter noch viel schönere Ziele. Das Leben bietet schier unendlich viele Möglichkeiten, da wäre es schade drum, wenn man nicht vielfältige Interessen hat und immer wieder neue Wege einschlägt.“ Das Ergebnis indes ist eine orientierungslose Spassgesellschaft, in der heute dies und morgen das zählt. Tabubrüche gehören beinah zur Tagesordnung.
Solange inszenierte Tabubrüche als Kunst gelten und Gewaltverherrlichung anstandslos mit der Würde des Menschen in Einklang gebracht wird, kann eine Gesellschaft nicht zu sich finden. Wertevermittlung ist abstrakt kaum erfolgreich, sie braucht Vorbilder. Wir sind stolz darauf, die Vertreter der Zivilgesellschaft in vielen Ländern der Welt zu unterstützen - wie wäre es, wenn wir das gelegentlich auch zu Hause täten?
So sind Karfreitag, Ostern und Ostermontag für die Mehrheit der Bevölkerung einfach nur nichtssagende, arbeitsfreie Tage, die unter Umständen als Kurzurlaub genutzt werden. Ja, selbst an Ostern werden kaum noch Eier versteckt und noch weniger vorgängig in trauter Gemeinsamkeit bemalt.
Wäre die Gesellschaft ehrlich, hätte sie die christlichen Feiertage längst durch weltliche Ferientage ersetzt. Wogegen sich - gesetzt der Fall es käme zu einer Abstimmung - verständlicherweise die Kirche aus religiösen und die Tourismus-, Hotel- und Gastronomie, Schokolade- und die Detailhandels-Branche aus ökonomischen Gründen vehement wehren würden.
Trotzdem, auch wenn die drei Ostertage christlichen Ursprungs sind, ist deren Botschaft überkonfessionell. Denn im Kern geht es in der Geschichte um einen Rebellen, dessen Anhänger und Gegner, die Reaktion in dieser Zwietracht der Mächtigen zur Erhaltung der Macht und letztlich noch um die immer noch anhaltende Hoffnung auf eine bessere Welt, die heute zunehmend mehr Menschen meinen, mit Individualismus, Fundamentalismus, uneingeschränktem Kapitalismus oder nackter Gewalt herbeiführen zu können.
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