Doppelblind
Von: Elisha
Es war nicht das erste Mal, dass Tiane mich um den Gefallen bat. Sonst hatte sie es eher angedeutet, war um das Thema geschwänzelt wie das Schulkind um den Pudding auf dem Tisch. Ich hatte es bemerkt, war aber nicht darauf eingegangen. Zu viele Bedenken waren mir eingefallen, aber als sie es dann ganz offen aussprach, musste ich reagieren.
„Du hast doch so einen netten Mann mit Felix. Der wird doch einen Freund haben, der noch Single ist.“ Sie lächelte vielsagend.
„Die Freunde, die ich kenne, sind alle in Beziehungen“, erwiderte ich zaghaft.
„Oder einen Bekannten!“ Sie streckte die Unterlippe zu einem Schmollmund vor. „Nur ein Treffen zu viert. Da könnte es doch gleich funken.“
Ich beobachtete ihre Kleinmädchenmasche und lächelte verschämt. Andererseits, wer war ich, um sie zu verurteilen? Seit siebzehn Jahren war ich glücklich verheiratet und konnte mich nicht mehr einfühlen, wie Menschen auf der Partnersuche die Welt erlebten. Tiane, damals noch Christiane, kannte ich aus der Schulzeit, aber erst vor ein paar Wochen waren wir im Pilates-Kurs wieder aufeinander getroffen. Seitdem hatten wir uns ein paarmal noch ein paar Drinks in der Kneipe gegenüber gegönnt. Es könnte doch ganz nett sein, zu diesem Mädelstreffen auch Jungs einzuladen. Vielleicht kannte Felix ja wirklich noch einen Mann, der weder schwul noch gebunden war. Gerade, als Tiane in ein zuckersüsses „Bittttte!“ einfiel, sagte ich schlicht: „Ich rede mit Felix.“
„Du kommst auf Ideen!“ Felix war nicht begeistert. „Ich habe ja nichts dagegen, deine Schulfreundin kennen zu lernen. Aber zum Kuppeln?“
„Ein Blind Date, offiziell ein Treffen zu viert. Weisst du denn jemanden?“
„Die Sache ist die …“ Er fuhr sich nervös mit der Hand durch die Haare. „Wenn es nicht klappt, haben wir das Problem. Weisst du noch, wie schwierig das nach der Scheidung deines Bruders war? Da mussten wir doch dauernd aufpassen, dass er und seine Frau sich bei einer Einladung nicht in die Quere kamen.“
„Er kommt eh nicht infrage, der wohnt jetzt doch in Lausanne.“ Ich füllte Felix´ Glas mit Cola auf. „Aber schön, dass du so nachdenkst.“
„Es gibt einen Kollegen auf Flur B“, setzte Felix an. „Tom ist immer mit seinen Prüfstoffen und Doppelblind-Studien beschäftigt, aber auf dem Flur hat er mir mal erzählt, dass er wieder zum Squash spielen wollte. Ich könnte mich mit ihm treffen.“
„Und danach finden wir uns in der Kneipe. Was für ein Zufall!“ Ich strahlte.
Tiane reagierte ganz anders, als ich es erwartet hatte. Sie fiel mir nicht um den Hals, führte keinen Freudentanz auf, summte nicht gutgelaunt vor sich hin.
„Heute?“ Sie stellte sich entgeistert vor den Spiegel in der Umkleide und zupfte an einer Strähne. „Ich habe mir gar nicht die Haare gewaschen.“
Ich deutete auf den Duschraum nebenan. „Wie wäre es damit?“
„Jetzt?“ Ein Blick, als hätte ich vorgeschlagen, Regenwürmer zu sammeln. „Ich habe doch nichts zum Stylen dabei.“
„Shampoo und eine Bürste habe ich mit“, murmelte ich in vager Ahnung, dass sie irgendwelche ganz anderen Dinge gemeint hatte. „Na gut, dann waschen wir uns wie sonst auch.“
„Wie sehe ich aus?“, fragte sie ein paar Minuten später.
„Tiane, es ist alles okay. Es ist nur ein Zusammentreffen, ein erstes Beschnuppern. Falls das was auf Dauer werden soll, wird er dich noch ganz anders sehen.“ Ihre weit aufgerissenen Augen zeigten mir, dass ich nicht hilfreich war. Ich schüttelte den Kopf und stellte mir die Situation bei den Männern vor. Irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass sich bei ihnen eine ähnliche Szene abspielte. Wir gingen hinüber zur Kneipe und quetschten uns auf eine Bank. Unsere Colas wurden gerade auf den Tisch gestellt, als sich Felix mit dem Unbekannten dem Tisch näherte.
„Tom, das sind die Ladies, Eva und Tiane“, sagte er in dramatischem Ton, und Toms Lächeln erstarrte für einen Augenblick. Er sah mir direkt in die Augen und sagte ernst: „Endlich habe ich dich gefunden!“ Dann setzt er sich auf den Stuhl neben mir, sein Knie berührte meines. Er griff nach meiner Hand, Tiane japste neben mir.
„Tom, das ist nicht …“, setzte Felix an, während ich meine Hand aus seinem Griff befreite.
„Bist du nicht die Christiane aus der letzten Primarklasse? Ich war damals so in dich verliebt.“
„Du bist der dicke Thomas?“, kreischte Tiane auf. Sie schüttelte ihre ungewaschenen Locken und strahlte ihn an. „Ich bin die Frau, die du gesucht hast.“
Als hätte er mich nie beachtet, wandte Tom ihr den Blick zu. „Natürlich, du bist es“, sagte er voller Inbrunst, und ich fühlte mich plötzlich ziemlich überflüssig. Felix feixte hinter seinem Rücken, setzte sich dann langsam auf den anderen Stuhl. Er schickte mir ein Küsschen durch die Luft, und ich wusste, dass dies noch ein langer Abend werden könnte.
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