Gottliebs Spiralen
Von: Elisha
Sie kannten sich kaum, als sie sich beim Äpfelsammeln trafen. Christiane hatte ein paar Bekannte organisiert, die halfen, den knorrigen „Gottlieb“ von der Pracht der süssen Früchte zu befreien, denn in diesem Jahr war die Ernte wieder viel zu viel für sie. Fünf Leute waren dem Aufruf gefolgt und machten sich jetzt mit Kisten und Körben zu schaffen.
Stella, gewohnheitsmässige Projektmanagerin, versuchte, die Organisation zu übernehmen, indem sie Schilder mit „Fallobst“, „Zum Verarbeiten“ und „Zum Lagern“ an den Behältern anbrachte. Sie zog eine Grimasse, als Mecki wiederholt die aufgehobenen Früchte in den nächstbesten Korb bugsierte.
„Pass doch mal auf, sonst geht alles durcheinander“, raunte Stella und hob wurmstichige und angestossene Teile heraus, um sie in einer Kiste unter zu bringen. „Die sind doch höchstens was als Pferdefutter.“
„Jeder kann ja eine gemischte Kiste mitnehmen und sie sich zu Hause sortieren“, schlug Mecki vor und stellte sich in den Schatten. Er zog eine schon vorher gedrehte Zigarette hinter seinem Ohr hervor und steckte sie sich an.
„Die fleckigen machen doch die gesunden Äpfel schlecht. Dann ist es mit dem Lagern vorbei.“ Stella sprach in ihrem Dozentinnen-Ton.
„Ausserdem ist das doch ungerecht“, stöhnte Susanne. „Ich möchte auf jeden Fall einen fairen Anteil der heilen Früchte mitnehmen.“ Damit pflückte sie den Apfel vor ihrer Nase ab und biss herzhaft hinein.
„Na ja, fair …“ Davids Augenbrauen zogen sich stirnwärts zusammen, so dass sie wie ein durchgehender Balken über den Augen wirkten. „Christiane tut uns doch einen Gefallen, dass wir den alten Gottlieb abernten können. Ist doch ihr Baum, also ihre Früchte.“
„Andererseits bringt ihr die Arbeit ein.“ Die Gastgeberin lächelte versöhnlich. „Ich bin doch froh, dass alles genutzt wird.“
Georg stand auf der Leiter und trat auf der obersten Stufe von einem Bein aufs andere. Wenn das ein Kommentar war, liess er Raum für Interpretationen.
„Können wir uns trotzdem auf ein Sortiersystem einigen?“ Susannes Stimme klang etwas genervt, und sie verzog das Gesicht zu einem aufgesetzten Lächeln.
„Von mir aus.“ Mecki drückte die Kippe in einem klobigen Aschenbecher aus Keramik aus und bückte sich von neuem nach dem herunter gefallenen Obst.
Drei Stunden später sassen sie an dem groben Holztisch auf Christianes Terrasse. Karaffen mit Wasser und mit frisch gepresstem Most standen auf der Platte, und dicke Scheiben von körnigem Brot und gewürzte Butterflöckchen lagen auf ihren Tellern. Dazu gab es Kräuterquark und verschiedene Cremes, Paprikaschnitze, Oliven, Tomaten und andere Leckereien in rustikalen Schälchen aus rot gebrannter Keramik.
„Das hat Spass gemacht, aber ich spüre meinen Rücken“, seufzte Mecki. „Ob ich mich morgen gerade halten kann?“
„Bei mir sind es eher die Arme.“ Georg griff nach einer weiteren Schnitte und stöhnte auf. „Genau das meine ich.“
„Was hast du denn eigentlich mit den Äpfeln vor?“, fragte Stella und bestrich sich noch ein Brot. „Als wir eben Rezepte für Kompott und Chutney ausgetauscht haben, schien das für dich eher uninteressant. Willst du wie Chrissy nur einen Apfel für den täglichen Frischkornbrei?“
„Nein, ich dörre sie.“ Auf ihren fragenden Blick fuhr er fort. „Ich habe einen speziellen Trockenschrank, dadurch werden sie haltbar.“
„Im Ganzen, oder machst du so Ringe, wie es sie zu kaufen gibt? Sowas wie Chips?►
„So ganz dünne Stücke trocknen zwar besonders gut, aber ich möchte noch etwas Struktur beim Kauen spüren.“ Wie zum Verdeutlichen nahm sich Georg ein Stück Gurke und zerkaute es. „ Ich habe ein Gerät, dass die Äpfel schält und einigermassen entkernt, und dabei schneidet es sie in Spiralen, ungefähr fingerdick.“
Bevor Stella reagieren konnte, platzte Susanne heraus: „Und was macht David mit seinem Anteil?“ Sie leckte sich Butter vom Finger und fügte spitzbübisch hinzu: „Verkaufst du die bei euch an der Landstrasse?“
Davids Ohrenspitzen wurden rot. Schüchtern meinte er: „Ganz im Gegenteil. Ich wollte sie unter den Obdachlosen verteilen.“
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