Im Schafspelz
Von: Elisha
Es war nicht mein erster Kontakt mit den Medien. Jedes Jahr im Sommer gab es eine Anfrage, mal nur Fotos, mal Filmsequenzen für eine Dokumentation, mal ein Interview für das Radio. Eine Frau als Schäferin auf der Alm bot eben verschiedene Aspekte und versprach anrührende Bilder. Diesmal war es ein junger Mann, der O-Töne sammeln wollte, und er winkte mir von weitem zu, bis er völlig aus der Puste auf der Weide ankam, ihm gegenüber Hasso, mein bellender Hütehund. Ein Pfiff von mir löste die Situation auf.
Er kramte in seiner Fototasche und setzte umständlich eine hochwertige Kamera mit einem grossen Objektiv zusammen.
„Sie wollten ja gern dabei sein, wenn ich die Tiere sammle für den Schlafpferch“, setzte ich an. „Ein paar Minuten dauert das aber noch.“
„Kein Problem. Ist das okay, wenn ich ein paar Bilder schiesse, während ich Ihnen Fragen stelle?
Ich nickte und hoffte, dass er meine Homepage gelesen hatte. Ich hatte keine Lust auf Anfängerfragen, seit wann ich schon Schäferin war oder seit wie vielen Jahren ich in die Berge kam. Vermutlich würde es wieder auf die Frage hinauslaufen, wie ich als Frau so menschenseelenallein leben konnte, und ich würde ihm dann von meinem beschwerlichen, aber freien Leben in der Natur vorschwärmen.
„Sie sind jedes Jahr für vier Monate in der Alm?“, vergewisserte er sich. Der Auslöser seiner Kamera klickte wie ein analoges Gerät.
„Ja.“ Ich sah ihn fragend an, entschied mich dann doch für eine längere Antwort. „Die Schafe sind gern hier, und den Almen tut es gut. Wenn sie nicht regelmässig abgemäht werden, entsteht nämlich unerwünschter Bewuchs: Heidepflanzen, Sträucher, und irgendwann hat sich der Wald das Gelände wieder einverleibt.“
„Und das ist nicht erwünscht?“, fragte er. „Ich dachte, Bäume zu pflanzen sei gerade total in?“
Ich stutzte kurz, dann kicherte ich. „Nicht hier auf den Wiesen.“
„So, dann treiben wir mal die Schafe zusammen“, sagte ich und pfiff. Hasso und Gerda rannten los. Ich öffnete das Gatter zum Schlafpferch und sah ihnen zu, wie sie die weit verbreiteten Tiere allmählich zu einem kompakten Ganzen zusammen trieben. Auch die weitab auf der anderen Seite der Alm grasenden Tiere fingen sie ein, und selbst die drei trächtigen Auen, die etwas tiefer an kleinen Zweigen nagten, fügten sie der Herde hinzu.
„Müssen Sie nicht einzelne Befehle geben?“, wunderte sich der Reporter und kratzte sich am Kopf.
„Sie meinen, wie in australischen Filmen?“ Ich grinste. „Die Hunde wissen, was zu tun ist, treffen eigene Entscheidungen und haben den Überblick.“ Ich sah ihnen zu, wie die Schafe dichter zu einer Masse aus Leibern zusammen rückten. „Ich würde ihnen auch mein Leben anvertrauen.“
„Tun Sie das nicht, indem Sie hier oben nächtigen?“ Die Klicks der Kamera nahmen ab. „Ich meine, schliesslich gibt es hier Wölfe.“
„Da habe ich keine Angst.“ Ich sah ihm zu, wie er umständlich ein Notizbuch und einen Stift heraus kramte. „Wölfe meiden menschliche Lager.“
„Sie wollen mir jetzt nicht weiss machen, dass sie sich auch keine Schafe einverleiben.“ Die Kamera zielte wieder auf mein Gesicht. Ich fühlte mich etwas unbehaglich.
„Schön wäre es. Das Rudel hat es geschafft, sich zwei Tiere zu holen. Das war, bevor ich Gerda mit im Team hatte.“
„Und lässt Sie das kalt?“
Ich schüttelte den Kopf und wunderte mich über den veränderten Tonfall.
„Nein, es tut immer weh, einzelne Tiere zu verlieren.“
„Da waren doch bestimmt ganz viel Blut und Innereien …“
„Ja, es war kein schöner Anblick. Aber das ist ein totes Schaf nie, besonders, wenn es aus der eigenen Herde stammt.“ Ich klang genervt, das hörte ich selbst. Aber wozu stellte er solche Fragen?
„Dann würden Sie sicher für eine Entnahme des Rudels stimmen?“
„Sie meinen, die Wölfe sollten abgeknallt werden? Ganz bestimmt nicht!“
Meine Stimme wurde laut, aber ich bemühte mich, meinen Ärger zu zähmen. Ich konnte mir schon die Schlagzeile vorstellen, wenn ich wutentbrannt auf ihn losginge. Heimische Schäferin im Kampf gegen die bestialischen Jäger! „Hören Sie! Das ist zwei Jahre her. Ich habe einen zweiten Hund, die Tiere schlafen nachts im Pferch, alles ist überschaubar. Fragen Sie mich lieber mal nach anderen Gefahren. Viel mehr Schafe verliere ich wegen Steinschlag, oder weil sie sich trotz Aufsicht ein Bein brechen oder in eine Schlucht fallen!“
Er sah mich enttäuscht an, und als könnte ich seine Gedanken lesen, schien sich seine krasse Story in Luft aufzulösen. „Aha“, sagte er leise.
Ich erwartete, dass er sich eilig verabschiedete, aber er meinte nur ratlos: „Also den geplanten Auftraggeber kann ich schon mal vergessen.“ Er schoss noch ein paar Bilder von den Hunden und der Herde.
„Vielleicht haben Sie ja Lust, eine aufbauende Geschichte zu schreiben. Ich erzähle Ihnen gern noch was von dem aufregenden Leben auf der Alm.“ Ich lachte. „Gelegenheit zu stimmungsvollen Bildern gibt es bestimmt, so mit Lagerfeuer und Sonnenuntergang hier oben.“
«fricktal24.ch – die Online-Zeitung fürs Fricktal
zur Festigung und Bereicherung des Wissens»