Ich sitze an meinem Schreibtisch und will dem Vortrag auf der CD lauschen. Die Stimme der Sprecherin fordert mich auf: „Gehen Sie zurück zu einem Zeitpunkt zwischen neun und fünfzehn Jahren.“ Ich weiss schon, was jetzt passieren wird. Schliesslich kenne ich die Erfahrung aus verschiedenen Gruppen, in denen andere begeistert oder berührt von inneren Bildern und Erlebnissen erzählen, und ich mich nur frustriert schäme, weil ich absolut nichts gesehen habe. Ich erwäge, die Übung abzubrechen und vorzuspulen, aber ein Teil von mir hat sich schon darauf eingelassen. Schon sehe ich grün um mich herum, ein Dickicht aus Pflanzen auf meinem Weg. Und vor mir der wohlbekannte Pfad, auf dem ich radle. Ich atme ruhig und warte ab.
Ich sehe nicht nur eine Erinnerung von aussen. Es ist, als bin ich wieder in meinem jungen Körper, trete in die Pedale, auf dem Weg zu irgendetwas. Ich lasse den Gedanken los, bin wieder mitten in der Empfindung. Es hat so viel geregnet in den letzten Tagen, und die Blätter glitzern nass. Das Wasser hat sich auf beiden Seiten des Weges gesammelt und bildet am Grund der Büsche und Bäume wässernde Lachen wie bewegungslose Bäche. Die Luft ist voller Feuchtigkeit, und ich sauge die würzigen Aromen der Kräuter und Blüten um mich ein. Über mir, von beiden Seiten, bilden die Gewächse ein Dach, reichen sie sich die Zweige.
Ich weiss, es sind Ferien. Normalerweise wären wir jetzt in dem Haus in Kroatien, unsere ganze Familie. Aber Oma musste ins Spital, und Mama und auch meine Tante wollen in ihrer Nähe bleiben. Ich habe mich aufgeregt, will ans Meer, schwimmen, tauchen, vielleicht küssen. Schliesslich wird Ljublan wieder da sein, der Sohn unserer Vermieterin. Ganz deutlich trage ich sein Bild in mir, die rötlichen Haare nass aus dem Gesicht gestrichen, seine grauen Augen ruhen auf mir. Stattdessen sitze ich hier fest, mit Agnes, meiner Cousine. Sie fährt vor mir.
Sie ist so anders als ich. Auch sie vermisst den Aufenthalt, hatte sich für die Bucht extra einen grellgrünen Bikini gekauft. Aber jetzt ist sie da, versucht, den Urlaub bei uns zu geniessen. „Was willst du schon gross machen?“, habe ich sie gefragt, und abschätzig habe ich meinen Blick schweifen lassen. „Hier ist nichts, was den Ort besonders macht.“ „Ist doch schön hier.“ Auch sie hat sich umgesehen. „Die Berge …“ „Die sind doch viel zu weit weg, um Eindruck zu schinden.“ Ich habe gestöhnt. „Kaum zu sehen.“ „ … der Bach, in dem man baden kann …“ Die Jungen aus unserem Dorf haben das Wasser mit ein paar Baumstämmen soweit gestaut, dass eine Mulde entstanden ist, gerade gross genug für ein paar Schwimmzüge. Ein kläglicher Ersatz für die Weite des Meeres, nicht zu vergleichen. „ …und dieser Weg durch das Wäldchen.“ Was soll das Besondere daran sein? Dieses Stück lag zwischen mir und dem Rest der Welt, zwischen unserem Häuschen am Rand des Dorfes hin zu Geschäften, Feiern, Abenteuern. Es war immer nur etwas, das ich hinter mich brachte.
Bis auf diese Fahrt danach. Zum ersten Mal erlebte ich dieses allumfassende Grün, die reine Luft, diese gleichförmige Bewegung … Ich spüre den Fahrtwind sacht auf meiner Haut, sehe hinab auf meine braungebrannten Schenkel in ihrer Kraft, auf denen Regentröpfchen wie Kristalle glitzern. Ich fühle mich wohl, da, wo ich gerade bin. Man könnte es auch glücklich nennen.
Die Stimme der Sprecherin holt mich wieder zurück in mein Arbeitszimmer, in dem ich dem Vortrag folgen will. „Das war ein kleiner Ausflug zu einem Erlebnis Ihrer Kraft, und wir können uns jetzt dem ernsten Thema widmen. Vergessen Sie nicht, dass Sie solche Erinnerungen immer wieder zur Stärkung abrufen können. Jederzeit.“
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