Badespiele
Von: Elisha
Irgendwie habe ich es geahnt. Sissi ist ein süsses Ding, und ich verstehe, dass sie meinem Sohn den Kopf verdreht hat. Aber irgendetwas stimmt nicht mit ihr, das spüre ich. Das letzte Mal, als ich ins Badezimmer kam, hatte sie die Brille der Toilette hochgeschoben und stand mit beiden Füssen auf der Keramik, die Hände weit über sich gereckt. Ich dachte zuerst, sie würde so ihre Notdurft erledigen, aber ihre Hose war über ihrer Hüfte, der Reissverschluss zu. Sie starrte an die Decke und hielt die Luft an.
„Weisst du, was deine Frau so treibt im Bad?“, habe ich Clemens gefragt. „Ist sie vielleicht eine Hexe, die heimlich düstere Rituale vollzieht?“
„Sie räuchert manchmal die Wohnung mit Salbei, wenn du das meinst.“ Er zuckte mit den Schultern. „Und den Spiegel hat sie verschoben, weil er nach Feng Shui an der falschen Stelle stand.“
„Das passt ja“, murmelte ich, aber ihn schien es wenig zu interessieren.
Beim nächsten Mal war es noch seltsamer. Ich dachte eigentlich, Sissi wolle in die Badewanne. Schliesslich war sie mit einer neu gekauften Shampooflasche und einem frisch gewaschenen Duschtuch im Bad verschwunden. Als ich aber hinein ging, stand sie neben dem Wannenrand. Eine Hand hatte sie aufgestützt, auf dem einen Bein stand sie, das andere hielt sie steil in die Luft gestreckt wie bei einer Yogaposition, und die Augen hatte sie geschlossen und atmete tief ein und aus.
„Interessiert dich gar nicht, was Sissi da tut?“, fragte ich meinen Sohn.
„Ich habe mit ihr gesprochen“, sagte er leichthin.
„Und? Was hat es zu bedeuten?“
„Mutter!“ Er legte seine Zeitschrift in den Schoss und sah mich an. „Das wird dir nicht gefallen.“
Ich erstarrte. „So schlimm?“, murmelte ich.
„Sie mag es einfach nicht, wenn du da so reinplatzt. Schliesslich könnte sie nackt sein, oder auf der Toilette in einer peinlichen Position.“ Er machte eine Pause, bevor er weitersprach: „Also macht sie irgendwelche Posen, bis du da warst.“ Er hatte die ganze Zeit ein ernstes Gesicht, aber insgeheim schien er gegen ein Grinsen anzukämpfen.
„Aber ich gucke ihr doch nichts weg. Da braucht sie doch nicht verlegen zu sein.“ Ich schüttelte zur Bekräftigung den Kopf. Clemens nickt, fuhr dann aber fort:
„Trotzdem wäre ich dafür, einen Riegel anzubringen. Ich kann morgen das Material besorgen.“
„Wir haben noch nie einen Riegel an der Tür gehabt“, stiess ich empört aus. „Muss denn alles anders werden?“ Ohne es zu wollen, schluchzte ich auf.
„Für das erste würde es helfen, wenn du anklopfen würdest, bevor du ins Bad gehst“, sagte Clemens sanft. Er stand auf und schloss mich in die Arme. Ich genoss die Berührung, wischte mir erst später eine kleine Träne aus den Wimpern.
Am nächsten Tag fühlte ich mich wieder besser. Eigentlich wollte ich ausgehen, aber dann hatte ich einen anderen Impuls. Nur kurz wollte ich nach meiner Frisur schauen, einen Blick in den Spiegel werfen und vielleicht ein wenig Haarspray auffrischen.
Als ich ins Bad stürmte, war es nicht leer. Sissi stand dort, als hätte sie auf mich gewartet. Eine Hand hatte sie in die Hüfte gestemmt, den anderen Arm hielt sie angewinkelt vor ihr Gesicht und starrte auf die Armbanduhr. Ungläubig schüttelte sie den Kopf, sah mich tadelnd an und meinte:
„Meinst du das ernst? Dreiundzwanzig Sekunden? Das kannst du aber besser, Mutter.“
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