Raiffeisen ortet folgenschwere Nebenwirkungen des Mietrechts
Von: mm/f24.ch
Die Abschwächung der Preisdynamik am Markt für selbstgenutztes Wohneigentum hat sich laut Raiffeisen Schweiz gegen Ende des letzten Jahres fortgesetzt. Innerhalb von zwei Jahren habe sich das Preiswachstum mehr als halbiert, was auf eine verminderte Nachfrage seit der Zinswende zurückzuführen sei. Dennoch liessen sich auch erste Zeichen einer Stabilisierung des Abkühlungsprozesses erkennen.
Das Überschreiten des Zinsgipfels habe die Verunsicherung auf Käuferseite etwas reduziert. Ob das Preiswachstum im Verlauf des Jahres in den negativen Bereich rutschen werde, stehe auf Messers Schneide. Es würden deutlich mehr Objekte zum Verkauf ausgeschrieben als während der Pandemie. Dabei würden die Preisvorstellungen von Verkäufern und Käufern oftmals auseinanderklaffen, da erstere an ihren Preisvorstellungen festhielten.
Dies manifestiere sich in einer höheren Insertionsdauer sowie einer spürbar abnehmenden Zahl von tatsächlichen Handänderungen. «Mit den gestiegenen Zinsen haben die finanziellen Anreize Eigentum zu erwerben abgenommen, denn Kaufen ist derzeit teurer als Mieten. Dieser Zustand wird sich aber wohl als ein kurzes Intermezzo entpuppen. Mit der Aussicht auf sinkende Leitzinsen ab der zweiten Jahreshälfte sowie stark steigenden Mieten dürfte der Wohnkostenvorteil im Eigenheim mittelfristig wieder zurückkehren», erklärt Fredy Hasenmaile, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz.
Düstere Aussichten für Mieter
Die Schweizer Bevölkerung wächst mit hoher Kadenz, getrieben von der Zuwanderung, die im letzten Jahr einen Rekord von rund 100'000 ausländischen Nettozuwanderern verzeichnete. Damit wachse auch die Wohnraumnachfrage ausgerechnet in einer Phase, in der die Produktion neuer Wohnungen auf dem tiefsten Stand seit 20 Jahren verharre. In immer mehr Regionen akzentuiere sich die Knappheitserscheinungen.
So habe sich schweizweit die Zahl ausgeschriebener Objekte in nur eineinhalb Jahren halbiert. Das Jahreswachstum der Mietpreise habe sich dagegen im Schnitt auf 4,7 Prozent beschleunigt. Die Überschussleerstände der letzten Dekade seien langsam abgebaut, daher bleibe vielen Mietenden nur noch, tiefer in die Tasche zu greifen.
Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche und rapide steigende Neumieten werden auf dem Mietwohnungsmarkt noch eine Weile Realität bleiben, prognostiziert Raiffeisen Schweiz. Trotzdem seien bauseitig weiterhin keine Reaktionen auszumachen.
«Offensichtlich sind die Investitionsperspektiven noch immer nicht ausreichend, um die herrschenden strukturellen Probleme der Wohnraumversorgung in Form von akuter Baulandknappheit und schleppender Verdichtung zu überwinden. Das Mietpreiswachstum wird auf absehbare Zeit das allgemeine Preiswachstum übersteigen, obwohl die Zinsen bereits wieder am Sinken sind», mutmasst Fredy Hasenmaile.
Einzig für die Bestandesmieter gebe es gute Nachrichten. Dank jüngst erklommenem Zinsgipfel und Aussichten auf baldige Leitzinssenkungen dürfte der Anstieg des hypothekarischen Referenzzinssatzes vom letzten Dezember der vorläufig letzte gewesen sein.
Groteske Fehlallokation konstatiert Raiffeisen Schweiz
Das geltende Mietrecht friere die Mieten auf dem Abschlusspreis ein und lassse nur wenige Gründe für Anpassungen zu. Diese Regelung schütze zwar einseitig die Bestandesmieterinnen und -mieter vor höheren Kosten, bewirke jedoch über die Zeit eine immer stärkere Entkoppelung der Angebotsmieten von den Bestandesmieten.
Das bleibt laut Raiffeisen Schweiz nicht ohne Nebenwirkungen: Die insbesondere in den Zentren ausgeprägten Preisdifferenzen würden Fehlanreize generieren, indem Haushalte für eine Wohnflächenreduktion bestraft statt belohnt würden. Bereits nach kurzer Mietdauer koste ein Wechsel in eine etwas kleinere Wohnung zur Neumiete mehr als die bisherige Bestandesmiete. Folglich blieben Wohnungsverkleinerungen aus.
«Vor allem Seniorenhaushalte leben häufig in für ihre Bedürfnisse zu grossen Wohnungen. Mehr als die Hälfte der über 60-jährigen Mieterinnen und Mieter haben mindestens zwei Zimmer mehr als Haushaltsmitglieder», sagt Hasenmaile. Solche Haushalte würden zudem immer zahlreicher, weshalb der durchschnittliche Wohnflächenverbrauch pro Kopf fortlaufend ansteige – aktuell liege er bei 46,6m². Gleichzeitig wachse die Zahl der Haushalte, die sich in überbelegten Wohnungen zusammenpferchen müssten. Die Fehlanreize würden überdies Leerkündigungen und eine zu tiefe Mietermobilität fördern.
Mit dem erwarteten starken Wachstum der Neumieten in den nächsten Jahren werde sich die Problematik weiter verschärfen. Allein schon das heutige Optimierungspotenzial einer besseren Allokation sei riesig.
Die Wirtschaftsforschung von Raiffeisen hält in der Immobilienstudie fest, dass wenn alle Mietwohnungen bloss ein Zimmer mehr umfassen als Personen im Haushalt leben, liesse sich ein «idealer» Flächenverbrauch von rund 38m² pro Kopf ableiten. Eine effizientere Flächenallokation würde nicht nur das Problem der Überbelegung lösen, sondern zusätzlich 170'000 Mietwohnungen à 100m² freispielen. Damit liesse sich Wohnraum für knapp eine halbe Million Menschen schaffen.
Mit einer besseren Nutzung des Mietwohnungsparks könne die sich zuspitzenden Wohnungsknappheit weitgehend entschärft werden, ohne dass auch nur ein einziges neues Gebäude erstellt werden müsste. «In Anbetracht des gewaltigen, brachliegenden Potenzials wäre es gerade mit Blick auf ökologische und soziale Gesichtspunkte angebracht, dass einerseits die mietrechtlichen Ursachen der Fehlallokation behoben werden und andererseits mutige Überlegungen anstellt werden, wie ein sinnvoller Flächentransfer bewerkstelligt werden könnte», regt Hasenmaile an.
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