Richter:innen sollen für Fehlverhalten sanktioniert werden können
Von: mm/f24.ch
Nach Erkenntnissen der Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) kommt es auch an den eidgenössischen Gerichten immer wieder zu Fehlverhalten von Richterinnen und Richtern. Eine Sanktionierung ist nicht möglich – mit Ausnahme der Amtsenthebung. Um das Vertrauen in die eidgenössischen Gerichte und deren Funktionsfähigkeit zu stärken, halten es die GPK für notwendig, ein Disziplinarsystem einzuführen. Hierfür reichen sie die parlamentarische Initiative ein. Bei deren Umsetzung ist den Grundsätzen der richterlichen Unabhängigkeit, der Organisationsautonomie und der Gewaltentrennung Rechnung zu tragen.
Die GPK üben die Oberaufsicht über die Geschäftsführung der eidgenössischen Gerichte (Bundesgericht, Bundesstrafgericht, Bundesverwaltungsgericht und Bundespatentgericht) aus. Aufgrund der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit der Gerichte sind sie bei ihrer politischen Kontrolle entsprechend zurückhaltend.
Die GPK haben im Rahmen ihrer Tätigkeit dennoch wiederholt teils gravierende Verfehlungen von Richterinnen und Richtern festgestellt. Diese betrafen zwar jeweils nicht die Rechtsprechung, beeinträchtigen jedoch das Funktionieren und das Ansehen der jeweiligen Gerichte. Deshalb sollte aus der Sicht der GPK ein Disziplinarsystem eingeführt werden, um das Vertrauen in diese Institutionen und ihre Funktionsfähigkeit zu stärken.
Entpolitisiertes und verfassungskonformes Disziplinarsystem
Die eingereichte parlamentarische Initiative (pa. Iv.) fordert die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage, um eine Disziplinaraufsicht über die Richterinnen und Richter an den eidgenössischen Gerichten einzuführen. Die Disziplinaraufsicht bezieht sich vorliegend auf die Einhaltung der Amtspflichten durch Richterinnen sowie Richter und ist individueller Natur.
Die Etablierung eines Disziplinarsystems und die Möglichkeit eines Amtsenthebungsverfahrens sollen im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses vertieft geprüft und umgesetzt werden. Dabei ist zwingend, eine Rekursmöglichkeit gegen von Disziplinarmassnahmen betroffene Richterpersonen sicherzustellen. Zudem ist den verfassungsmässigen Grundsätzen der richterlichen Unabhängigkeit, der Organisationsautonomie der Gerichte und der Gewaltentrennung umfassend Rechnung zu tragen.
Mit der Umsetzung des Disziplinarsystems sollte idealerweise ein gerichtsexternes Aufsichtsgremium geschaffen werden, welches unabhängig von politischen Einflüssen ist. Dies könnte ein sogenanntes Justizgericht sein, wie es bereits verschiedene Kantone kennen. Auch ein neu geschaffenes Organ würde der verfassungsmässig vorgesehenen Oberaufsicht durch die Bundesversammlung unterstehen.
Geltendes Recht ohne Sanktionierungsmöglichkeiten unbefriedigend
Das Fehlen einer Disziplinaraufsicht stellt eine Frage von staatspolitischer Tragweite dar. Die Erfahrungen der GPK zeigen, dass das Fehlverhalten einzelner Richterinnen und Richter oft nicht in zufriedenstellender Weise gerügt bzw. darauf reagiert werden konnte. Dies liegt insbesondere daran, dass mit Ausnahme der Amtsenthebung oder der Nichtwiederwahl keine verbindlichen Sanktionierungsmöglichkeiten bestehen.
Das geltende Recht sieht bei den erstinstanzlichen eidgenössischen Gerichten einzig die Amtsenthebung durch die Bundesversammlung als Disziplinarmassnahme gegenüber Richterinnen und Richtern vor, wobei in Bezug auf das Bundesgericht auch diese Möglichkeit fehlt.
Dazu kommt, dass die Hürden für eine Amtsenthebung beziehungsweise eine Nichtwiederwahl durch das Parlament sehr hoch sind respektive auch sein müssen. Dieser aktuell bei den erstinstanzlichen eidgenössischen Gerichten bestehende Alles-oder-Nichts-Mechanismus in Disziplinarangelegenheiten wird auch von der Verwaltungskommission des Bundesgerichtes (VK BGer) als unbefriedigend erachtet.
Disziplinaraufsicht ist verfassungskonform umsetzbar
Die GPK haben zwei Rechtsgutachten in Auftrag gegeben (Gutachten Prof. ThurnherrFormatwechsel und Gutachten Prof. TanquerelFormatwechsel), um den verfassungsmässigen und gesetzlichen Handlungsspielraum abzuklären.
Diese zeigen auf, dass die Einführung einer Disziplinaraufsicht gegenüber Richterinnen und Richter an erstinstanzlichen eidgenössischen Gerichten verfassungskonform ist, wenn dabei die bereits genannten verfassungsmässigen Grundsätze eingehalten werden. Ob auch gegenüber Bundesrichterinnen und Bundesrichtern eine Disziplinaraufsicht einzuführen ist, lassen die beiden Gutachten offen, da hierfür noch weitere Abklärungen notwendig seien.
Von der Umsetzung der pa. Iv. am meisten betroffen wäre die Gerichtskommission der eidg. Räte (GK), da sie die Wahl- und Wiederwahlvorschläge der eidgenössischen Richterinnen und Richter zuhanden der Bundesversammlung erarbeitet. Sie wurde von den GPK einbezogen und unterstützt die pa. Iv.
Die parlamentarische Initiative wird aus verfahrensökonomischen Gründen nur von der ständerätlichen GPK eingereicht, wobei auch die GPK-N die Vorlage unterstützt. Die beiden GPK haben zudem beschlossen, die beiden Rechtsgutachten zu veröffentlichen. Die GPK haben am 23. Januar 2025 gemeinsam unter dem Vorsitz von Ständerat Charles Juillard (Die Mitte, JU) in Bern getagt.
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