Fast ein Cowboy
Von: Elisha
„Ferdi, heute ist was los bei uns“, tönt es aus der Freisprechanlage. Es ist nicht die Zentrale, die ihn zum nächsten Kunden schicken will. Nein, sein Kumpel Dominik aus der freiwilligen Feuerwehr hat ihn kontaktiert, um ihn zu informieren. „Es sind 15 Kühe beim Verladen ausgerissen, die sind in den Ort gelaufen“, schildert er die Situation. „Kannst du kommen? Jede Hand wird gebraucht.“
Ferdinand räuspert sich. Ihm gefällt die Vorstellung, bei ihnen von Nutzen zu sein und endlich mal etwas Aufregendes zu erleben. Kühe einfangen, wie ein richtiger Cowboy!
„Ich habe nur noch einen Fahrgast, den muss ich noch abliefern. Dann komme ich.“
Ferdinand sieht in den Rückspiegel, ob der Mann auf der Rückbank zusammen zuckt, aber er hat nicht reagiert. Die mittlerweile angebrachte Plexiglasscheibe zwischen ihnen dämpft die Geräusche, auch seine Stimme. Das hat Vorteile, und er muss sich in kein langweiliges Gespräch verwickeln lassen oder die Keime der Kunden einatmen. Andererseits gab es früher auch immer interessante Fahrgäste, Schauspieler, Künstler, die Sängerin, die letzten Sommer in Basel gastierte. Schillernde Figuren, immer für eine schräge Geschichte für die Kumpels gut.
Während Ferdinand den Wagen sicher durch den Verkehr lenkt, bereitet er sich auf die vor ihm liegende Aufgabe vor. Wie fängt man denn bloss Kühe ein? Sie haben schon ein paarmal ein Kätzchen aus dem Baum gerettet, einmal auch einen Papagei wieder in den Käfig gelockt, aber da hören seine Kenntnisse schon auf. Ansonsten stehen beim Training immer nur Übungen an, Schlauch vorbereiten, Teile zusammenstecken und wieder in eine grosse Spirale zusammenrollen, langweilig! Und manchmal wenigstens ein Probelöschen.
Was schleichen die anderen Fahrer so! Aber jetzt sind es nur noch zwei Strassen, da drüben ist das Ziel. Er stoppt die Uhr, die das Fahrgeld zählt, nennt den Preis und fragt, ob der Kunde eine Quittung braucht. Zum Glück nicht. Beide steigen aus, er hievt einen Koffer aus dem Wagen hinten und übergibt ihn dem Mann, darf das Wechselgeld behalten.
„Ich melde mich für die nächsten Stunden ab“, verständigt er die Zentrale. „Zum Glück gibt es die Absprache über die Feuerwehr, und ungeduldig fährt er los.
„Ich bin unterwegs. Wie sieht es aus, Dominik?“, fragt er nach.
„Mensch, Ferdinand, das glaubst du nicht. Die Tiere sind völlig durch den Wind, wir sollen die jetzt zum Ortsausgang treiben. Aber die laufen kreuz und quer, und ganz schön gross sind die auch!“
Normalerweise macht sich Ferdinand keine Gedanken über Kühe. Er kennt sie nur als Rindfleisch auf dem Teller. Aber als Kind hat er mal einen Bauernhof besucht und im Stall die riesigen Körper an der Melkmaschine stehen sehen. Eindrucksvoll, mit lautem Muhen. Da waren ihm die Kälbchen schon lieber mit ihren rauen Zungen, die alles abzulecken versuchten.
„Ach übrigens, Ferdinand, wenn du kommst, fahre nicht …“ Ein Knacken und Ächzen beendet den Anruf, unverständlich, was er als Letztes gesagt hat.
Ungeduldig kutschiert er den Wagen durch die engen Strassen, ein Stück weit hinaus auf die Landstrasse. Kein Wunder, dass die anderen Verkehrsteilnehmer nicht so wendig sind wie er! Schliesslich fahren sie nicht jeden Tag im Ort herum. Trotzdem wundert sich Ferdinand darüber, dass kein Tempo möglich ist. Zu viele Autos, die Bahn ist verstopft. Sie werden immer langsamer.
„Mann, wo bleibst du denn?“ Wieder Dominik in der Leitung. „Tierärzte sind mit Betäubungsgewehren hinter den Kühen her, aber gut klappt das nicht. Wir sind einfach zu wenige. Stell dir vor, die wollen sogar Jäger auf die Tiere ansetzen, mit Schussfreigabe.
„Ich komme hier nicht weiter“, antwortet Ferdinand in mauligem Ton.
„Bist du etwa doch die Landstrasse gefahren? Ich habe dich doch extra davor gewarnt!“
In diesem Augenblick ertönt ein Schrei aus der Anlage.
„Sie sind hier!“ Schnelle Schritte, Hufgetrappel, dann ein Flüstern: „Sie sind auf uns los gegangen. Ich habe mich hinter dem Einsatzwagen versteckt.“
„Und ich stehe immer noch im Stau. Mal sehen, wann der sich auflöst! Könnte noch Stunden dauern.“
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