Warum Menschen rätseln und auf Berge steigen
Von: Bastian Schmidt
Prof. Dr. Gesine Dreisbach vom Lehrstuhl für Allgemeine und Angewandte Psychologie der Universität Regensburg und Dr. Vanessa Jurczyk, ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin in der Arbeitsgruppe „Allgemeine Psychologie“ von Prof. Dreisbach, veröffentlichen Forschungsergebnisse zum "Anstrengungsparadox" in der internationalen Fachzeitschrift „Physiological Research“.
Warum steigen Menschen auf Berge, wenn sie doch auch auf dem Sofa liegen könnten? Prof. Dr. Gesine Dreisbach hat Untersuchungen zum „Anstrengungsparadox“ veröffentlicht. (Foto: Bastian Schmidt)
Die meisten kognitionspsychologischen, neurowissenschaftlichen und ökonomischen Modelle menschlicher Entscheidungen gehen davon aus, dass die mit einer Handlung verbundenen Kosten (physisch und mental) in die Handlungsentscheidung einfliessen. Da Anstrengung als aversiv empfunden wird, so die gängige Annahme, neigen Menschen dazu, anstrengende Handlungen zu vermeiden.
Diese Annahme aber steht im starken Widerspruch zur Alltagsbeobachtung, dass Menschen freiwillig anstrengenden Tätigkeiten nachgehen, wie etwa ein kompliziertes Rätsel zu lösen oder einen Berg zu erklimmen, obwohl sie stattdessen auch einen Film anschauen oder mit der Gondel auf den Berg fahren könnten.
Für dieses sogenannte Anstrengungs-Paradox werden verschiedene Erklärungen diskutiert. So wird angenommen, dass die Anstrengung den Wert des Produktes der Anstrengung steigert oder aber, dass die Anstrengung selbst als belohnend empfunden wird.
Am Lehrstuhl für Allgemeine und Angewandte Psychologie der UR wurde nun eine weitere Hypothese untersucht. Möglicherweise kann dieses scheinbare Paradox auch dadurch aufgeklärt werden, dass für manche Menschen eine auf den ersten Blick anstrengende Aufgabe gar nicht so anstrengend ist (niedrigere objektive Kosten) oder aber, dass ihnen die Anstrengung subjektiv weniger ausmacht (niedrige subjektive Kosten). So vermag etwa der Rätselfreund auch die schweren Rätsel mit Leichtigkeit lösen und die Bergsteigerin auf Berge steigen, weil ihr die Anstrengung nichts ausmacht.
Um diese Annahmen zu überprüfen, wurden in zwei Experimenten je 100 Versuchspersonen in fortlaufenden Durchgängen vor die Wahl zwischen einer leichten und einer schwierigen Aufgabe gestellt. Diese freiwilligen Wahlen wechselten sich zufällig mit vorgegebenen Aufgaben ab, u.a. um sicherzustellen, dass alle Versuchspersonen eine gewisse Übung mit beiden Aufgaben haben. Die Reaktionszeitdifferenz zwischen der leichten und schweren Aufgabe aus den vorgegebenen Aufgaben wurde als individuelles Mass für die objektiven Verhaltenskosten verwendet.
Zum Abschluss des Experiments wurden die Versuchspersonen dann mehrfach vor die Wahl gestellt, ob sie einen weiteren Aufgabenblock mit ausschliesslich schweren Aufgaben gegen eine Bezahlung von zwei Euro oder aber einen leichten Aufgabenblock für ein Euro durchführen möchten. Bei Entscheidung für den schweren Block wurde das Angebot für den leichten Block um fünfzig Cent erhöht, bei Entscheidung für den leichten Block um den gleichen Betrag herabgesetzt. Diese Entscheidung wurde mehrmals wiederholt (wobei die Angebote für den leichten Block um 25 Cent, 13 Cent, 6 Cent und schliesslich 3 Cent nach oben oder unten angepasst wurde) bis ein individueller Indifferenzpunkt erreicht war.
Die Differenz aus dem Gebot für den leichten Block und den zwei Euro für den schweren Block wurde als individuelles Mass für die subjektiven Anstrengungskosten berechnet. Das ist der Geldbetrag, auf den eine Versuchsperson bereit ist zu verzichten, um die schwere Aufgabe zu vermeiden.
In beiden Experimenten wurde gefunden, dass die objektiven Verhaltenskosten den freiwilligen Wechsel zur schweren Aufgabe massgeblich vorhersagten (je geringer die Kosten, desto höher die Wechselrate zur schweren Aufgabe) wohingegen die subjektiven Kosten nur im zweiten Experiment einen kleinen Anteil der Varianz aufklärten.
Die Ergebnisse unterstützen also die Annahme, dass aus beobachtetem Verhalten nicht notwendigerweise auf die der Handlung zugrundeliegende Anstrengung geschlossen werden kann. Die Entscheidung für eine schwierige Handlung kann demnach zum Teil mit den objektiv geringen Handlungskosten erklärt werden.
Was auf den ersten Blick trivial erscheint, spielt im Alltag eine wichtige Rolle, wenn etwa aus beobachtetem Verhalten auf Kontrolle und Selbstdisziplin von Menschen geschlossen wird. Aus kognitions- und neurowissenschaftlicher Sicht werfen die Ergebnisse die interessante Frage auf, wie genau die Verhaltenskosten internal berechnet und in die Handlungsauswahl einbezogen werden.
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