Prognose über die Dauer von Beziehungen möglich – aber auch notwendig?
Von: Sebastian Hollstein
„Prognosen über die Langlebigkeit einer Beziehung sind durchaus möglich“, sagt Dr. Christine Finn von der Universität Jena. Im Rahmen der im Jahr 2008 gestarteten auf vierzehn Jahre angelegte Langzeitstudie „Panel-Analyse von intimen Beziehungen und Familiendynamik (pairfam)“ hat sie fast 2‘000 Paare über sieben Jahre hinweg in regelmässigen Abständen befragt, von denen sich sechzehn Prozent in diesem Zeitraum getrennt haben. „Bereits zu Beginn einer Beziehung lassen sich Prädiktoren – also gewisse Vorhersagevariablen – finden, die Informationen darüber liefern, ob die Beziehung lange hält oder nicht.“
Wahrscheinlich war es noch nie so einfach wie heute, eine Partnerin oder einen Partner zu finden, die oder der zumindest theoretisch auch zu einem passt. Dating-Plattformen im Internet füttern Algorithmen mit Informationen von Suchenden, um für sie das beste Gegenstück zu finden. Doch lässt sich diese Berechenbarkeit auch auf eine Beziehung übertragen? Kann man zu Beginn einer Beziehung schon vorhersagen, ob sie hält?
Dieser Frage sind Psychologinnen und Psychologen der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der University of Alberta, Kanada, nachgegangen und zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen: „Prognosen über die Langlebigkeit einer Beziehung sind durchaus möglich“, sagt Dr. Christine Finn von der Universität Jena.
Wer unglücklich startet, wird noch unglücklicher
In der Psychologie gebe es derzeit zwei wissenschaftliche Modelle, die den Verlauf einer Paarbeziehung unterschiedlich beschreiben, erklärt Finn. Eines beinhalte, dass alle Paare zu Beginn etwa gleich glücklich seien. Endet die Beziehung mit einer Trennung, dann sei das auf Probleme zurückzuführen, die sich erst im Laufe der gemeinsamen Zeit entwickeln.
Das zweite Modell gehe davon aus, dass Paare bereits auf unterschiedlichen Glücksniveaus starten. Generell hielten sie dieses zwar, aber eine negativere Ausgangssituation erhöhe die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns.
„Wir haben nun herausgefunden, dass eine Mischung aus beiden Modellen wohl zutrifft“, sagt die Jenaer Psychologin. „Auch wir können ein unterschiedliches Ausgangsniveau bestätigen. Zusätzlich nimmt bei beiden Gruppen die Glücklichkeit ab – bei denen, die sich später trennen, passiert das allerdings deutlich rapider. Das bedeutet: Wer unglücklich startet, wird noch unglücklicher.“
Der Beginn einer Beziehung kann also schon einiges über ihren Verlauf verraten. Die Zufriedenheit ermittelten die Jenaer Forschenden, indem sie beispielsweise danach fragten, wie sehr die Partnerinnen und Partner ihre Bedürfnisse befriedigt sehen. Generell gilt dabei: Wer ähnliche Bedürfnisse hat, zum Beispiel nach Nähe, aber auch danach weiterhin eigene Interessen verfolgen zu können, bleibt meist länger zusammen.
Keine Beziehung ist von vornherein zum Scheitern verurteilt
Durch die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse könnten also Paare schon vorher Informationen erhalten, wie hoch die Chance ist, dass sie zusammenbleiben. Aber ist eine solche Auskunft auch sinnvoll?
Christine Finn ist skeptisch: „Uns geht es nicht darum, den allgemeinen Optimierungstrend weiter zu unterfüttern und eine Beziehung nur ergebnisorientiert mit der Aussicht auf Langlebigkeit zu führen. Wenn sich Paare nach einiger Zeit trennen, kann das trotzdem eine wertvolle und wichtige Phase in ihrem Leben sein – die möglicherweise die folgenden Beziehungen positiv beeinflusst. Ausserdem können Paare das Gemeinsame, wie das Ausleben von Nähe und Unabhängigkeit, auch bewusst steuern und daran arbeiten. Keine Beziehung ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.“ Insofern könnten die Ergebnisse der Studie durchaus wertvoll für Beratungsstellen und Therapeuten sein.
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