Studie würdigt Aargauer Gemeindeversammlung
Von: mm/f24.ch
Das Versammlungssystem wird seit geraumer Zeit kritisiert: Gemeindeversammlungen seien nicht repräsentativ für die Gemeinde, öffneten bestimmten Lobbygruppen Tür und Tor und würden das Stimmgeheimnis missachten. Eine detaillierte empirische Analyse, die das Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA) für Gemeindeversammlungen im Kanton Aargau durchgeführt hat, zeigt nun, dass die versammelten Stimmberechtigten trotz tiefer Beteiligung meist zu breit akzeptierten Entscheidungen kommen und die Qualität der demokratischen Entscheidungsfindung in Gemeindeversammlungen insgesamt hoch ist.
Die Versammlungsdemokratie gilt nicht nur als die älteste, sondern auch als die direkteste Form zur demokratischen Organisation von Gemeinwesen. Während Versammlungsdemokratien weltweit selten sind, geniessen sie in der Schweizer Gemeindelandschaft als Gemeindeversammlungen eine weite Verbreitung.
Umso erstaunlicher ist es, dass Gemeindeversammlungen bislang nur selten. Eine detailreiche empirische Analyse des Zentrums für Demokratie Aarau (ZDA) untersuchte über 1‘600 Aargauer Einwohnergemeindeversammlungen der Jahre 2013 bis 2016.
Durchschnittliche Beteiligung von rund neun Prozent
Im vierjährigen Untersuchungszeitraum variiert die Teilnahmequote in den Aargauer Gemeindeversammlungen zwischen 0.8 Prozent und 44.7 Prozent. Die Unterschiede in der Beteiligung lassen sich einerseits durch den Gemeinde-Kontext erklären: In kleineren, dörflichen und (parteipolitisch) homogeneren Gemeinden nimmt ein signifikant grösserer Anteil der Stimmberechtigten teil als in grösseren, urbaneren und (parteipolitisch) heterogeneren Gemeinden.
Andererseits können Unterschiede nicht nur zwischen den verschiedenen Gemeinden, sondern auch zwischen den einzelnen Versammlungen derselben Gemeinde erkannt werden. So finden sich signifikant mehr Stimmberechtigte zu einer Gemeindeversammlung ein, wenn besonders wichtige und spannende Geschäfte wie Bauvorhaben, Gemeindefusionen, Steuerfusserhöhungen oder Nutzungsplanungen anstehen.
Mehr Anträge in urbanen und heterogenen Gemeinden
Ein grosser Vorteil der Versammlungsdemokratie besteht gemäss der Studie darin, dass die vorgelegten Geschäfte diskutiert und mittels Antrag ergänzt, abgeändert oder zur Überarbeitung zurückgewiesen werden können. Die Analyse zeigt aber, dass diese Möglichkeiten eher selten genutzt werden.
So gibt es in etwa der Hälfte der Versammlungen weniger als sechs Wortmeldungen und nur 1.6 Prozent der Geschäfte werden mittels Antrag erweitert und/oder ergänzt. Die aktive Partizipation intensiviert sich aber in Abhängigkeit von den behandelten Geschäften:
Bei besonders wichtigen und spannenden Geschäften wie Nutzungsplanung, Schulbauten, Budgets oder gewissen Reglementen werden vermehrt Sachanträge eingereicht. Darüber hinaus werden in grösseren, urbanen und (parteipolitisch) heterogenen Gemeinden tendenziell mehr Anträge eingereicht und auch angenommen.
Breite Akzeptanz der Beschlüsse
Rund 98 Prozent der analysierten Geschäfte werden angenommen. Die gefassten Beschlüsse geniessen insgesamt eine hohe Akzeptanz. Dies zeigt sich laut der Studie etwa darin, dass nur gegen sieben Promille der nicht abschliessend gefassten Beschlüsse das fakultative Referendum verlangt wird.
In der grossen Mehrzahl der Geschäfte findet sich also keine referendumsfähige Gruppe innerhalb der Stimmbürgerschaft, die mit einem Versammlungsbeschluss nicht einverstanden ist und deshalb eine nachträgliche Urnenabstimmung verlangt. Demgemäss sind die Beschlüsse mehr als die Summe von Partikularinteressen, resümiert die Studie.
Auch die offene Stimmabgabe ist laut der Studie für die grosse Mehrheit der versammelten Stimmberechtigten kein Problem: Nur gerade bei vier Promille der Geschäfte wird ein Antrag auf geheime Abstimmung gestellt und in weniger als einem Promille wird dann auch tatsächlich geheim abgestimmt.
Vertiefte empirische Untersuchung der Versammlungsdemokratie
Die Studie beruht auf der Doktorarbeit des Politikwissenschaftlers Philippe E. Rochat an der Universität Zürich, der dafür mittels einer breit angelegten Datenerhebung im Kanton Aargau Informationen zu über 1‘600 Gemeindeversammlungen mit über 11'000 Geschäften in 203 Gemeinden für einen Zeitraum von vier Jahren gesammelt und analysiert hat.
Bemerkung
Die Studie befasst sich lediglich mit den von durchschnittlich neun Prozent der Stimmberechtigten gefällten Beschlüssen, für die sich vorgängig offensichtlich 91 Prozent der Stimmberechtigten gar nicht interessieren, also ist von diesen grundsätzlich auch keine Opposition, geschweige dann ein fakultatives Referendum gegen diese Beschlüsse zu erwarten.
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