Auf dem Weg zur Versöhnung - Antwort durch Frieden und Liebe
Von: Stefan Treier
Als Gast des internationalen kirchlichen Hilfswerks „Kirche in Not“ weilte kürzlich Pfarrer Dr. theol. Kamil Samaan aus Kairo während rund zehn Tagen in der Schweiz. Dabei gastierte er in mehreren Pfarreien, welche den Hohen Gast aus dem Nil-Land zur Messfeier, wie zu Vorträgen über seine vielfältige Arbeit, eingeladen hatten. Halt machte der Leiter eines Waisenhauses und Universitätsdozent aus Ägypten am 18. März auch in Zeiningen, wohin er von Dekan Pfarrer Alexander Pasalidi eingeladen wurde. Im Fricktal durfte der Besucher aus Nordafrika vielen aufmerksamen und interessierten Zuhörerinnen und Zuhörern begegnen, welche ihm viele Sympathien entgegenbrachten.
Pfarrer Kamil Samaan feiert mit Dekan Alexander Pasalidi die gut besuchte hl. Messe (Fotos: zVg)
Dekan Alexander Pasalidi konnte nebst dem koptisch-katholischen Seelsorger als Hauptzelebrant zahlreiche Gläubige begrüssen, welche von überall her ins unsere Fricktal gereist waren, um sich aus erster Hand über die aktuelle Situation in Ägypten orientieren zu lassen. In seiner Predigt er-läuterte Pfarrer Samaan die Religionsstruktur des 92 Millionen-Volkes. Etwa 10 % der Bevölke-rung sind Kopten, also Christen, welche sich in mehrere Konfessionen aufteilen. Rund 90 % der Aegypter gehören einer muslimischen Glaubensrichtung an.
Zeugnis ablegen für Jesus Christus – wir brauchen einander
Unter den ägyptisch enChristen gibt es verschiedene Konfessionen. Die katholischen Kopten kennen sieben Riten, wobei jeder Ritus sein eigenes Bistum verzeichnet. Die mit Rom unierte römisch-katholische Kirche zählt rund 300‘000 Gläubige, welche sich auf sechs Bistümer verteilen. Sie gehören also zur Minderheit innerhalb der christlichen Minderheit. Dennoch sind sie sehr aktiv.
Es werden 140 Schulen betrieben, davon sind deren vierzig kostenlos dank starker Unterstützung durch Christen im Westen, vor allem durch das Hilfswerk „Kirche in Not“. Es wird grosser Wert gelegt auf die Bereiche Bildung und Gesundheit, wo sich die katholische Kirche äusserst aktiv engagiert. Viele Menschen sind Analphabeten, weshalb der Bildung eine besondere Bedeutung zukommt. Die Bildung und der Einsatz für kranke und behinderte Menschen sind ein glaubwürdiges Engagement gegen Hass, was in den christlichen Schulen den jungen Menschen beigebracht wird. Es geht letztlich darum, Zeugnis abzulegen für Jesus Christus. Seit fünf Jahren steht Pfarrer Samaan als Leiter in der Peripherie von Kairo einem Waisenhaus vor, wo er sich um Kinder und Jugendliche bemüht und viele die Vater-Funktion erfüllt.
Wahrung der Menschenrechte -Stärkung des Glaubens - standhaft zu Jesus
Pfarrer Samann zeigte auf, dass die Christen in Ägypten für ihr Engagement die Unterstützung der Glaubensbrüder im Westen benötigen. „An erster Stelle kommt das Gebet“, so der koptisch-katholische Priester. „Wir benötigen aber auch die moralische Unterstützung und die Erhebung der Stimme für die unterdrückten und diskriminierten Christen. Es tut weh, wenn wir Christen uns im eigenen Land als Bürger zweiter Klasse fühlen müssen.“ Der Gastprediger gab der Zuhörerschaft zu bedenken, dass in Westeuropa zu wenig für die Verteidigung der Menschenrechte, gerade auch in Ägypten, getan werde und doch sei diese Hilfe so wichtig. „Wir brauchen für unsere Projekte zudem auch finanzielle Unterstützung. Wir sind sehr dankbar für jegliche Hilfeleistung.“
„Wir können ihnen auch etwas anbieten, nämlich den Glauben. Es geht darum, von der Gleichgültigkeit weg zu gehen – hin zum Glauben. Für Jesus muss man sich entscheiden und klar Stellung beziehen.“ Als Beispiel eines starken Glaubensbekenntnisses erwähnte der Gast aus dem Nahen Osten den Starkmut und die erwiesene Verzeihung der Mutter eines jungen koptischen Christen, welcher von IS-Terroristen vor drei Jahren, zusammen mit zwanzig anderen Christen, verschleppt und enthauptet wurde – ein Schock, welcher damals durch die ganze Welt ging.
„Die Kirche von Aegypten bietet vor allem dem müden Europa an, den Mut und die Standhaftigkeit zu haben, um an Jesus festzuhalten. Auf dem Weg zur Versöhnung kann die Antwort nur Friede und Liebe sein. Wir müssen die Botschaft Jesus leben, wonach wir alle Brüder sind, “, so der bekennende Theologe aus Kairo.
Gutes Einvernehmen mit Staatspräsident - aktive Junge in der Kirche
Im Anschluss an die eindrückliche Eucharistiefeier trafen sich zahlreiche Interessierte noch im Pfarrsaal, wo ihnen Pfarrer Samaan sein christliches Sozialwerk, das Waisenhaus „Guter Samariter“, vorstellte und sich auch über das Verhältnis zur aktuellen Staatsführung äusserte.
Das Waisenhaus wurde 2002 von einem Priesterfreund begründet und aufgebaut. Als dieser vor fünf Jahren starb, wurde Pfarrer Samaan zur Weiterführung berufen. Nebst der Tätigkeit als Uni-versitätsdozent steht er dem Waisenhaus als Leiter vor. Derzeit leben 34 Kinder und Jugendliche im Alter von 4 bis 23 Jahren dort, wo sie bleiben bis zum Ende der Ausbildung oder dem Studium, also bis zum Eintritt in die wirtschaftliche Selbständigkeit. - Die jungen Christen engagieren sich aktiv in der Kirche, der kirchlichen Sozialarbeit sowie für die Ausbildung. Nicht zuletzt deshalb verzeichnen die christlichen Kirchen stets optimalen Besuch der Gottesdienste.
Der amtiere Staatspräsident as-Sisi ist als frommer und gläubiger Muslim auf Kooperation mit allen Ägyptern, auch der Christen, bedacht. Er weiss, dass den Christen in den letzten Jahren viel Unrecht geschehen ist und hat eine breite Sicht der Situation. Er respektiert die christliche Minderheit in seinem Lande.. Grosse Sorgen machen den Christen die Fanatiker, welche oft nicht vor der Anwendung von Gewalt zurückschrecken. Mit vielen Muslimen bestehen jedoch freundschaftliche Kontakte.
So fasten Christen und Muslime zusammen. In Assiut nehmen auch Muslime an christlichen Marienfesten an Prozessionen teil und feiern mit Christen zusammen. Vor kurzem haben Muslime durch Bildung einer Menschenkette gar einen Anschlag auf eine christliche Kirche verhindert. Solche Erlebnisse verleihen den bislang bedrängten Christen in Aegypten neue Hoffnungen.
Pfarrer Alexander Pasalidi würdigte in einem ermunternden Abschiedswort an den ägyptischen Gast dessen Wirken in seiner Heimat. Ein Zusammenleben in Frieden und Liebe, sowie in gegen-seitiger Wertschätzung, ist die beste Botschaft für Versöhnung und Gerechtigkeit.
INFO
Das weltweit tätige Hilfswerk „Kirche in Not“ Schweiz, Luzern, unterstützt seit Jahren die notlei-dende Kirche und ihre Gläubigen für die dringlichen Bedürfnisse von Seelsorge und Caritas, so auch Pfarrer Kamil Samaan. Kirche in Not dankt für jegliche Spenden, welche für die vielfältigen Bedürfnisse der Menschen in Aegypten erbracht werden (Postkonto 60 – 17200 – 9, Vermerk Waisenhaus Guter Samariter, Kairo).
Interview mit Pfarrer Dr. Kamil Samaan
Die koptischen Christen stellen in Aegypten eine Minderheit dar. Wie viele Gläubige zählen sich zur Gemeinschaft der koptischen Christen? Gibt es innerhalb dieser Gemeinschaft Unterschiede? Welche Zielsetzungen verfolgen sie?
Alle Christen in Aegypten sind Kopten. Bei diesem Ausdruck handelt es sich um eine Ableitung aus der griechischen Sprache. Etwa 10 % der Bevölkerung Aegyptens, also gut neun Millionen Menschen, sind Christen. Bei den Christen wird unterschieden zwischen orthodoxen, katholischen und protestantischen Christen. Innerhalb der christlichen Gemeinschaft gehört der grösste Teil zu den Orthodoxen. Unter den Christen gibt es verschiedene Riten, wobei jeder Ritus sein eigenes Bistum verzeichnet. Die koptischen Katholiken zählen rund 300‘000 Personen, welche sich auf sechs Bistümer verteilen. Die Christen aller Riten finden sich zweimal jährlich zusammen zwecks Besprechung und Koordination gemeinsamer Aktivitäten. Die fünf christlichen Kirchen bilden durch gebildete und offene Gläubige einen Beirat. Dieser ist aus koptischen Orthodoxen, Katholiken, Protestanten, griechisch Orthodoxen und Anglikanern zusammengesetzt (Bem. Pfarrer Samaan vertritt die Katholiken in diesem Beirat). Nun freuen wir uns auf den Besuch von Papst Franziskus in Aegypten vom 28./29. April 2017. Davon habe ich dieser Tage, anlässlich meines Schweiz-Besuches, erfahren.
Gibt es Zusammenarbeiten und Gemeinsamkeiten mit nichtchristlichen Glaubensgemeinschaf-ten? Wenn ja, in welchem Rahmen werden sie praktiziert?
Unter der Organisation „Friede und Gerechtigkeit“ wird ein interreligiöser Dialog zur Pflege der christlichen Glaubensrichtungen geführt. Das Verhältnis zu nichtchristlichen Glaubensgemeinschaften, insbesondere zu Muslimen, ist gut. Es bestehen überkonfessionelle Zusammenarbeiten und Freundschaften. Das ist dort möglich, wo man sich die gegenseitige Wertschätzung schenkt.
Setzen sich auch junge Menschen für die kirchliche Arbeit ein, um sich als Seelsorger und Seel-sorgerinnen, oder als Ordensleute, zu engagieren? Wie stehen die jungen Leute zur Kirche? Wie stark ist der christliche Glaube in Aegypten heute verankert?
Die ägyptische Bevölkerung ist sehr jung. Rund 60 % der Einwohner Aegyptens sind zwischen 15 und 45 Jahre alt. Die jungen Menschen sind sehr aktiv in der Kirche und werden überall integriert. Viele setzen ihre Freizeit vollumfänglich für kirchliche und soziale Arbeiten ein. Der Glaube ist für viele junge Leute wichtig, weshalb die Gottesdienste sehr gut besucht werden und die christlichen Kirchen stets vollbesetzt sind. Es gibt in der katholischen Kirche stets auch Berufungen für Priester und Ordensleute, welche in Seminaren studieren.
Sie stehen einem Waisenhaus in der ägyptischen Hauptstadt Kairo vor. Wer ist die Trägerschaft dieses Heimes? Hätten Sie die Freundlichkeit, uns dieses Heim etwas näher vorzustellen?
Pfarrer Samaan: Das Waisenhaus nennt sich „Guter Samariter“ und befindet sich an der Peripherie von Kairo. Das Haus wurde 2002 von einem Priesterfreund von mir begründet. Als er vor fünf Jahren unerwartet verstarb, wurde ich gebeten, die Führung des Hauses zu übernehmen. Es leben derzeit 34 Halb- oder Vollwaisen (16 Mädchen, 18 Knaben) in unserem Haus. Sie sind zwischen 2 und 23 Jahre alt. Sie bleiben bei uns in der Regel bis zu einem Lehr- oder Studiums-Abschluss, also bis zur Erlangung der Selbständigkeit. Viele kommen als Analphabeten zu uns, wo sie die Schriftkenntnisse erwerben und sich hinaufarbeiten können, oft bis zur Vollendung eines akademischen Studiums. Vor kurzem haben fünf junge Frauen und ein Mann ihre Studien erfolgreich abgeschlossen. Die Frauen haben sich verheiratet oder stehen kurz davor, der Mann wird demnächst den Militärdienst absolvieren. Bei uns herrscht ein familiärer Betrieb (Bem. Pfarrer Samaan ist nicht nur Seelsorger, sondern er nimmt in Güte auch die Vaterrolle für die Kinder und Jugendlichen wahr). In unserem Haus arbeiten drei Ordensschwestern und drei Frauen, welche für die Wäsche und die Reinigung, sowie für praktische Arbeiten, zuständig sind. Ueber das Wochenende kommen viele Freiwillige um mitzuhelfen. Es klappt sehr gut. Das geht aber nur dank der Spenden, die wir aus dem In- und Ausland erhalten. Viele Hilfswerke, darunter auch „Kirche in Not“, helfen mit ihrer wertvollen Unterstützung, dass wir unser Waisenhaus führen können. Dafür sind wir sehr dankbar.
In Europa hören wir leider immer wieder von Verfolgungen der christlichen Glaubensbrüder im Nahen Osten, auch in Aegypten. Gerade kürzlich berichtete eine Zeitungsmeldung über neue Aktivitäten der Terrororganisation „Islamischer Staat“ mit Drohungen und Anschlägen in Kairo und Todesopfern. Herrscht da nicht fast pausenlos Angst vor der Zukunft? Gibt es auch Hoffnungen?
Was uns Sorgen macht, sind Diskriminierungen, welche die Christen seit Jahren erleiden. Wir sind nicht direkt verfolgt wie die Christen in anderen Ländern, doch schmerzen die Diskriminierungen ebenso stark. Viele Christen sind ausgewandert, weil sie nicht immer als Men-schen zweiter Klasse behandelt werden wollen. Was den Christen in Aegypten vor allem Sorgen macht, sind die Fanatiker, welche vielerorts aktiv sind und nicht vor Gewalt zurückschrecken. Andrerseits besteht mit vielen muslimischen Gläubigen ein gutes Einvernehmen. Dies, sowie der Glaube an Gott, schenken uns neue Hoffnungen.
Wie gestaltet sich das Verhältnis der christlichen Kirchen zur derzeitigen Staatsführung in Aegypten? Bestehen Ansätze für gegenseitige Anerkennung, Respekt oder gar Zusammenarbeit?
Der derzeitige Staatspräsident as-Sisi gilt als frommer, gläubiger Muslim, der sich für die Versöhnung und den Ausgleich unter den Religionen stark macht. Er zeigt sich offen für die Vielfalt der Religionen. Er nahm an den Weihnachtsfeierlichkeiten der Christen teil und überbrachte ihnen Glückwünsche. Der Staatspräsident besuchte die Trauerfeierlichkeiten für 23 ermordete Christen, welche im Dezember 2016 bei einem IS-Attentat auf eine Kathedrale ums Leben gekommen sind. - Als Ziel einer neuen Hauptstadt Aegyptens nannte er den Bau der grössten Moschee und der grössten Kathedrale, die entstehen sollen. Die christlichen Gemein-schaften können unter der Präsidentschaft as-Sisis frei leben. Wir freuen uns über diese guten Ansätze, doch bestehen weiterhin Bedrohungen, so durch fanatische Gruppen wie des IS. Deswe-gen müssen die christlichen Kirchen rund um die Uhr bewacht werden, eine Aufgabe, die durch den Staat, und damit häufig durch Muslime, wahrgenommen wird.
Herr Pfarrer Samaan, wir danken Ihnen von Herzen für das interessante Gespräch und wünschen Ihnen, den Gläubigen Ihrer Glaubensgemeinschaft, wie auch den Kindern und Jugendlichen in Ihrem Haus, weiterhin Gottessegen und Beistand.
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