Klinik Schützen öffnete Tor und Tür
Von: Hans Berger
Im Rahmen der am 5. September gestarteten bis 28. November dauernden 4. Aktionstage Psychische Gesundheit Aargau gewährte vergangenen Samstag die Klinik Schützen der Öffentlichkeit Einblick in einen der sensibelsten Bereiche der unzähligen Krankheiten. An einer breiten Akzeptanz dieser Erkrankung mangelt es zwar nicht, solange die andern davon betroffen sind. Problematisch kann es allerdings werden, wenn es darum geht, sich selber einzugestehen, psychisch angeschlagen zu sein. Wörter wie „Spinnwinde“, „Irrenanstalt“, Klapsmühle, „gäls Wägeli“ geistern dann oft in den Köpfen herum und verhindern einen offenen Zugang zur Erkrankung.
Klink Schützen Rheinfelden lud zum Tag der offenen Tür
Mit seinem Konzept, gesunde und kranke Menschen unter einem Dach zu beherbergen, reagierte vor 35 Jahren die Rheinfelder Klinik Schützen auf dieses Hemmnis vieler Menschen. Mehrheitlich ein höhnisches Lächeln war seinerzeit die Reaktion der „Psychobranche“ auf das in der Schweiz einmalige Schützenkonzept. Die damaligen Skeptiker haben zwischenzeitlich aber bestimmt eine plausible Erklärung, warum der Schützen heute dennoch rund 500 Menschen beschäftigt und Besitzer der beiden Hotels Eden und Schiff sowie weiterer Liegenschaften ist.
Nie und nimmer
Hätten die Nutzer vom „Tag der offenen Türen“ im Rheinfelder Schützen es nicht besser gewusst, so wären sie auf ihrem Rundgang vermutlich nie und nimmer darauf gekommen, dass sie sich in einer auf Psychosomatik, Psychiatrie und Psychotherapie spezialisierten Klinik befinden.
Und wohl kaum jemand der unzähligen Besucherinnen und Besucher vermochte - trotz intensiven Bemühungen – herauszufinden, wer von den vielen im Haus verkehrenden Menschen nun gesund oder krank ist. Genau das ist dann auch die Tücke der psychischen Erkrankung.
Einige Aspekte davon wurden den Besuchern von den Spezialisten der Schützenklink in mehreren Vorträgen vorgestellt. Zudem erhielten sie Einblick in diverse Therapien sowie die Möglichkeit, den eigenen psychischen Zustand zu ergründen.
Psychische Gesundheit
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert psychische Gesundheit wie folgt: „Ein psychisch gesunder Mensch kann seine Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten und ist imstande, etwas zu seiner Gemeinschaft beizutragen (WHO, 2004).
Diese Erklärung zeigt, dass der Übergang zwischen „psychisch gesund“ und „psychisch krank“ fliessend ist. Denn jeder Mensch kennt Momente, in denen er seine Fähigkeiten nicht ausschöpfen kann, nicht produktiv arbeitet und sich nicht mit anderen austauschen mag.
Im Kontext der Gesundheitspolitik wird heute Psychische Gesundheit («Mental Health») als Oberbegriff für den Schutz, die Förderung, den Erhalt und die Wiederherstellung der psychischen Gesundheit verwendet. Damit sind – über die Förderung der psychischen Gesundheit hinaus – auch die Prävention und Früherkennung psychischer Erkrankungen sowie die Schnittstellen zur Versorgung und Betreuung von Personen mit einer psychischen Erkrankung eingeschlossen.
Psychische Gesundheit ist demzufolge nicht nur die Abwesenheit einer psychischen Erkrankung. Vielmehr gehören zu einer psychisch gesunden Person ein stabiles Selbstwertgefühl, eine gefestigte Identität bezüglich ihrer verschiedenen Rollen in der Gesellschaft sowie das Gefühl von Selbstwirksamkeit und Handlungskontrolle.
Des Weiteren empfindet sich eine psychisch gesunde Person in der Regel als optimistisch, zuversichtlich und ausgeglichen. Um sich psychisch gesund zu fühlen, müssen diese Eigenschaften und Emotionen nicht alle und zu jeder Zeit vorhanden sein.
Psychische Gesundheit ist somit nicht ein Zustand, der sich als Folge von persönlicher Disposition und individuellem Verhalten manifestiert, sondern ein vielschichtiger Prozess, der neben individuellen Aspekten massgeblich von sozioökonomischen, kulturellen und ökologischen Faktoren beeinflusst wird.
Psychische Krankheit
Psychische Krankheiten gehören zu den häufigsten nichtübertragbaren Krankheiten. Sie können schwerwiegende Beeinträchtigungen der Lebensqualität, des Individuums mit sich bringen und bis hin zum Suizid führen. Des Weiteren verursachen sie hohe volkswirtschaftliche Kosten.
Im Jahr 2012 litt rund jede sechste Person (Tendenz steigend) in der Schweiz an einer psychischen Erkrankung. Sie wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Diese können individueller Natur (Persönlichkeit, genetische Faktoren, etc.) und/oder von sozialen Faktoren (Familie, soziales Netz, berufliches Umfeld, etc.) geprägt sein.
Umfrage
Gemäss dem Monitoring 2016 vom Schweizerischen Gesundheitsobservatorium (Obsan) fühlen sich rund 60% der Schweizer Bevölkerung voller Energie und Vitalität. Männer, ältere Personen und gut (Aus-)Gebildete berichten häufiger von diesem positiven Zustand als Frauen, Junge und Personen mit tieferem Bildungsniveau. Es gibt klare regionale Unterschiede: In der Deutschschweiz geben mehr Personen an, sich voller Energie und Vitalität zu fühlen als in den lateinischen Landesteilen.
Knapp 5% der Schweizer Bevölkerung fühlt sich stark und rund 13% mittelschwer psychisch belastet, was bedeutet, dass bei 18 von 100 Personen das Vorliegen einer psychischen Störung wahrscheinlich ist. Frauen berichten deutlich häufiger von psychischer Belastung als Männer und weniger (Aus-)Gebildete geben dies häufiger an als gut (Aus-)Gebildete. Im Kanton Tessin und in der Genferseeregion fühlen sich die Befragten im regionalen Vergleich am häufigsten psychisch belastet.
Wird gezielt nach Depressionssymptomen gefragt, berichten 30% der Bevölkerung von Depressivität. Rund 2% der befragten Frauen und Männer berichten über (eher) schwere Depressivität. Es kann davon ausgegangen werden, dass es sich hier mit hoher Wahrscheinlichkeit um klinisch relevante Depressionen handelt.
Es gilt jedoch zu bedenken, dass die tatsächliche Häufigkeit starker Depressivität aufgrund der Befragungsart (telefonische und schriftliche Befragungen von Personen in Privathaushalten, keine Befragungen innerhalb von Institutionen wie z.B. Alters-und Pflegeheimen oder Wohnheimen) unterschätzt sein dürfte.
Leichte Depressivität ist bei Frauen häufiger (25%) als bei Männern (20%), mittlere bis schwere Symptome nennen beide Geschlechter etwa gleich häufig (7% vs. 6%). Mit zunehmendem Alter und mit höherer Bildung nimmt die erlebte Depressivität ab. Im regionalen Vergleich berichten die Befragten im Kanton Tessin am häufigsten von depressiven Symptomen.
Über 70% der Personen mit starker psychischer Belastung und rund 73% der Personen mit starken Depressionssymptomen leiden zusätzlich an starken körperlichen Beschwerden. Frauen berichten tendenziell häufiger von gleichzeitigen psychischen und körperlichen Beschwerden. Kommen bei chronisch-körperlich Erkrankten starke Einschränkungen im Alltag dazu, so ist die psychische Belastung nochmals deutlich höher.
Fazit
Weil selber schon öfters erlebt, stossen Klagen über Kopf-, Zahn- oder Bauchschmerzen bei Gesunden oft auf mehr Verständnis wie Klagen über Unmotiviertheit, Hoffnungslosigkeit, Resiginiertheit, innerliche Angespanntheit. Die Empfehlung: „Reiss dich doch zusammen“ hilft den Klagenden dann genau so wenig wie der Ratschlag: „Das geht vorüber“. Das einzige, was der Gesunde tun kann, ist einfach da zu sein, dem Klagenden zuzuhören und versuchen, ihn zu motivieren, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
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