Glaubensbekenntnisse sind nicht in Stein gemeisselt
Von: Johannes Seiler, idw
Sie passen meist auf nur eine Buchseite, sind aber geistiger Halt für viele Millionen gläubiger Menschen: Die Glaubensbekenntnisse des Christentums haben eine durchaus komplexe Textgeschichte. 25 Jahre lang hat der evangelische Theologe Prof. Dr. Wolfram Kinzig von der Universität Bonn daran gearbeitet, Hunderte von ihnen in einer Quellensammlung zu erschlie en. Jetzt ist das vierbändige Werk in der renommierten Oxford University Press erschienen.
Prof. Dr. Wolfram Kinzig vom Evangelisch-Theologischen Seminar der Universität Bonn mit seinem vierbändigen Werk „Faith in Formulae“. (Foto: Volker Lannert/Uni Bonn)
Wissenschaft ist das Bohren dicker Bretter. Es war eine akribische Suche in Bibliotheken und Datenbanken, die der evangelische Kirchenhistoriker Prof. Dr. Wolfram Kinzig von der Universität Bonn unternommen hat.
Was herauskam, hat das Zeug zum neuen Standardwerk: 863 frühchristliche Glaubensbekenntnisse und verwandte Texte aus der Zeit vom 4. bis zum 9. Jahrhundert hat er auf mehr als 2‘000 Seiten im lateinischen oder griechischen Original zusammengetragen, ins Englische übersetzt und kommentiert. 1992 hat er mit den ersten Studien begonnen – jetzt ist die vierbändige Quellensammlung „Faith in Formulae“ in der weltweit renommierten „Oxford University Press“ erschienen.
Kürzen und erweitern nach Baukastensystem
Eines der Ergebnisse ist, dass Glaubensbekenntnisse zunächst nicht die in Stein gemeisselten dogmatischen Fundamente waren, als die der Laie sie sich vorstellt. „Die hier gesammelten Dokumente zeigen, dass es sich anfangs um atmende, lebende Texte handelte“, sagt Prof. Kinzig.
„Selbst wenn man glaubte, eine Formulierung sei allgemein akzeptabel, ging die Entwicklung weiter. Sobald eine Formel fertig war, setzte sie neue Diskussionen über ihre Auslegung in Gang.“ So hätten die altkirchlichen Denker im 4. Jahrhundert im Ringen um konsensfähige Formulierungen immer wieder Textpassagen umgestellt, ergänzt oder weggelassen – wie bei einem „Baukastensystem“
Auf dem Konzil von Konstantinopel im Jahre 381 kam diese Entwicklung zu einem ersten Abschluss: Damals wurde das „Nizäno-Konstantinopolitanische“ Glaubensbekenntnis festgeschrieben, auf das sich heute (fast) alle christlichen Konfessionen beziehen.
Doch auch später wurden weitere Texte verfasst – nun nicht mehr als „Glaubensbekenntnis“, sondern als „Erklärungen“ von Konstantinopel. Neben diesem ökumenisch wichtigsten Symbol entstand in der lateinischen Kirche in einem langwierigen Prozess zusätzlich das „Apostolische Glaubensbekenntnis“, das vor allem bei der Taufe und in der Mission Verwendung fand und zu diesem Zweck jahrhundertelang immer wieder an die praktischen Notwendigkeiten angepasst wurde.
So arbeitete der Kirchenvater Augustinus (354-430), wie Prof. Kinzig erklärt, „in unterschiedlichen Phasen seines Wirkens als Bischof mit verschiedenen Fassungen dieses Bekenntnisses; das hat ihn offensichtlich nicht gestört“. Manche Textunterschiede jedoch warfen durchaus Probleme auf. Etwa der Glaubenssatz von der Vergebung „der“ Sünden:
Bedeutet das „alle“ Sünden – oder gibt es „Todsünden“, die niemals vergeben werden können? Oder die Frage, wie genau das Verhältnis zwischen Gott Vater und Jesus Christus zu denken ist (ist Christus selbst Gott – oder letztlich ein Geschöpf des Vaters?). Oder woher der Heilige Geist kommt: Geht er allein von Gott Vater aus – oder vielleicht „auch aus dem Sohn“? Über diese Formulierung brach ein heftiger Streit zwischen römischen und griechischen Theologen aus, der später zu einem der Gründe wurde, warum die katholische und die orthodoxe Kirche sich voneinander trennten.
In den Bekenntnissen des Glaubens fehlt noch die Ethik
„Faith in Formulae“ ist zunächst als reine Quellensammlung konzipiert. Was sich aus diesen Texten für die Forschung ergibt, möchte Prof. Kinzig jetzt in einer Monographie beschreiben. Sie soll auch ein Problem untersuchen, für das er „noch keine rechte Antwort gefunden“ hat: Warum die Texte sich nur auf den Glauben konzentrieren, nicht auf Fragen des Handelns.
„Die christliche Ethik hat in ihnen nicht den Stellenwert, der ihr von den Evangelien her zukommt“, sagt Prof. Kinzig. „Es geht in ihnen nur um das, was Christen glauben sollen – nicht um das, was sie tun sollen. Hier ist eine Lücke, die noch im 19. und frühen 20. Jahrhundert zu grossen Auseinandersetzungen um das Bekenntnis geführt hat.“
Wichtig ist dem Wissenschaftler, „die Forschung zu den Glaubensbekenntnissen neu anzuregen“, erklärt er. „In der Kirche geht es nicht darum, dass „alle Religionen doch irgendwie gleich“ seien. Es gebe Punkte, in denen sich das Christentum von anderen Religionen unterscheidet. Es gehe um die Fragen: Wer ist Gott? Wer ist Christus? Wie geht Gott mit dem Bösen in der Welt um?
Für Christen seien das zentrale Fragen, die die Glaubensbekenntnisse zu beantworten suchen. Erst wenn man sich um ihre Klärung bemüht habe, könne man in einen fruchtbaren theologischen Dialog mit anderen Religionen eintreten.“
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