Pilze sind das zweitgrösste Organismenreich der Erde
Von: Gesche Hohlstein, idw
Schätzungsweise 2,2 bis 3,8 Millionen Pilzarten gibt es weltweit. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forschungsteam aus Berlin und London. Pilze bilden damit das zweitgrösste Organismenreich nach den Tieren, denn die Pilze übertreffen die Vielfalt der Pflanzen um etwa das Sechs- bis Zehnfache. Mindestens achtzehnmal mehr Pilzarten existieren als derzeit bekannt. Die Studie erstellten zwei Wissenschaftler vom Botanischen Garten und Botanischen Museum der Freien Universität Berlin sowie dem Londoner Royal Botanic Gardens, Kew und dem Natural History Museum. Die Forschungsergebnisse wurden in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals „Microbiology Spectrum“ veröffentlicht.
Der Fliegenpilz (Amanita muscaria) enthält weltweit vermutlich ein Dutzend unterschiedliche Arten. (Foto: Pixabay)
Eine der grossen Fragen der Biologie ist damit neu bearbeitet. In der Vergangenheit reichten die Spekulationen von etwas mehr als einer halben Million bis zu über fünf Millionen Pilzarten weltweit. Derzeit sind erst 120‘000 Pilzarten bekannt und wissenschaftlich beschrieben. Das entspricht nur etwa drei bis acht Prozent der geschätzten globalen Pilzvielfalt.
Über zwei bis drei Millionen Pilzarten sind also noch zu entdecken und zu beschreiben. Die Pilze sind damit das am wenigsten studierte der drei grossen Organismenreiche: während bei den Pflanzen etwa achtzig Prozent von geschätzten 390‘000 Arten katalogisiert sind, sind es bei den Tieren rund zwanzig Prozent von geschätzten sieben Millionen.
Das Erfassen der noch unbekannten Pilze ist eine monumentale Aufgabe für die Forscher, da momentan pro Jahr nur etwa 1‘500 neue Pilzarten beschrieben werden. Man bräuchte also weitere 1‘500 bis 2‘500 Jahre, um alle noch unbekannten Pilzarten zu beschreiben. Oder ein Zehnfaches an Spezialisten, um diese Aufgabe innerhalb der nächsten zwei Jahrhunderte abzuschliessen. Durch Lebensraumzerstörung und nicht nachhaltiges Wirtschaften nimmt jedoch auch die Pilzvielfalt global fortwährend ab: viele Arten sterben aus, bevor sie entdeckt werden.
Für die aktuelle Schätzung kombinierten die Forscher drei Schätzmethoden. Erstens werteten sie neueste Forschungsdaten aus, die im Wesentlichen auf DNA-Sequenziermethoden beruhen. Allein durch die Analyse des sogenannten DNA-Barcodings wurden bei vermeintlich bekannten Pilzarten (wie dem Fliegenpilz oder dem Pfifferling) im Schnitt etwa zehn zuvor unbekannte Arten entdeckt.
Die bereits bekannten 120‘000 Pilzarten könnten demzufolge bis zu 1,2 Millionen Arten entsprechen. Zweitens zogen die Forscher Analysen von Umweltproben heran, zum Beispiel des Bodens oder Wassers. Mittels neuartiger DNA-Sequenziermethoden werden darin alle vorhandenen Organismen erfasst. Die Forscher vermuten hier weltweit mindestens eine Million zusätzlicher, unbekannter Pilzarten, zusammen also etwa 2,2 Millionen.
Drittens zeigten Studien an ausgewählten Lokalitäten, wo alle Pflanzen- und Pilzarten systematisch erfasst wurden, dass im Mittel 9,8 Pilzarten pro Pflanzenart vorkommen. Bei einer hochgerechneten Zahl von weltweit 390‘.000 Pflanzenarten ergibt sich aus dieser alternativen Schätzmethode eine Gesamtzahl von 3,8 Millionen Pilzarten.
Die Forscher vermuten viele unbeschriebene Pilzarten in sogenannten Hotspots wie den Tropen, wenig untersuchten Lebensräumen (unter anderem in den symbiontischen Flechten und in Insekten) sowie in unbearbeitetem Material naturkundlicher Sammlungen.
Pilze sind in allen Ökosystemen vorhanden, sogar im Meer. Zum Reich der Pilze zählen Einzeller wie die Backhefe ebenso wie der mit blossem Auge erkennbare,
in manchen Kulturen als Rauschmittel verwendete Fliegenpilz oder auch die Flechtenpilze.
Nach heutigem Kenntnisstand sind Pilze näher mit den Tieren verwandt als mit den Pflanzen, aber traditionell werden Pilze oft weiter in der Botanik behandelt; bis in das späte zwanzigste Jahrhundert wurden sie sogar noch zu den Pflanzen gezählt.
Pilze vereinen typische Merkmale von Tieren als auch von Pflanzen. Wie Pflanzen sind sie festsitzend, betreiben aber im Gegensatz zu Pflanzen keine Photosynthese; anstelle dessen ernähren sie sich von organischen Substanzen aus ihrer Umgebung. Als Speichersubstanz bilden sie das bei Tieren typische Polysaccharid Glykogen (und keine pflanzentypische Stärke). Pilzzellen weisen zwar meist eine für Pflanzenzellen typische Zellwand auf, diese ist jedoch aus dem im Tierreich bekannten Chitin aufgebaut.
Viele Pilze zersetzen totes organisches Material und sind damit ökologisch von zentraler Bedeutung im Nährstoffkreislauf. In Symbiose lebende Pilze finden sich bei den meisten Pflanzen (z. B. Bäumen und Orchideen) sowie in den Flechten (einer Symbiose von Pilzen mit Algen oder Cyanobakterien).
Parasitische Pilze sind wichtige Krankheitserreger bei Pflanzen, Tieren und auch dem Menschen. Abgesehen von Delikatessen wie den Trüffeln bilden Pilze die Grundlage für tägliche Lebensmittel wie Brot und Käse, alkoholhaltige Getränke, und Medikamente wie Antibiotika (Penicillin).
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