Altes Handwerk neu entdeckt
Von: Hans Berger
Vor langer, langer Zeit war ein Dorf kein Dorf, wenn es nicht zumindest einen Pfarrer, einen Polizisten, einen Metzger, einen Bäcker, einen Schmied, einen Coiffeur, einen Wirt und natürlich einen Schuhmacher sowie einen Sattler hatte. Berufe, auf welche auch die digitalisierte Welt nicht verzichten kann, ihre einstige gesellschaftliche Stellung und damit einhergehend das allgemeine Wissen über ihre Handwerkskunst ging zwischenzeitlich jedoch verloren. Am vergangenen Wochenende allerdings bot das Magdemer Dorfmuseum zusammen mit der Schuhmacherin Susanne Keller sowie dem Sattler Andy Mackay Gelegenheit, einen Teil der dahingeschiedenen Kenntnisse zu reanimieren.
Andy Mackay und Susanne Keller im Dorfmuseum Magden
Auf Schusters Rappen
Als sich die Menschen vor tausenden Jahren Tierhäute und Felle um die Füsse wickelten, um sich so vor Dornen, spitzen Steinen und vor Kälte zu schützen, dachte niemand daran, welchen Siegeszug das „Schuhwerk“ um den Globus antreten würde. Schuhe gehören mit zu den ältesten Kleidungsstücken der Menschheitsgeschichte und das Handwerk der Schuhmacher gehört zu den ältesten unter den Zünften, die im 12. Jahrhundert gegründet wurden.
Wohl nirgendwo ist Qualität und Preis so eng verknüpft wie bei den Kleidungsstücken und insbesondere bei den Schuhen, wo Qualität und "billig" ein Widerspruch in sich ist. Dass in dieser Sparte der Preis aber immer schon ein nicht unwesentlicher Faktor war, verrät ein altes Kinderlied:
Schuemächerli, Schuemächerli
Was choschte dyni Schue
Drü Bätzeli, drü Bätzeli
Und d'Negeli derzue.
Drü Bätzeli, drü Bätzeli
Das isch mer würklech z'tüür.
Da louf i lieber barfuess
Dürs Wasser und dürs Füür.
Wem heute diese „drü Bätzeli“ - die schätzungsweise teuerungsberechnet etwa 300 Franken entsprechen – zu teuer sind, der muss nicht mehr zwingend barfuss durchs Wasser und durchs Feuer gehen, sondern bekommt bereits für ein „halbs Bätzeli“ - oder gar noch weniger - passable, moderne Schuhe, welche allerdings weder den Härtetest bestehen, noch die Langlebigkeit der „Drü—Bätzeli-Schuhe“ erreichen werden, wie Schuhmacherin Susanne Keller am vergangenen Samstag im Dorfmuseum Magden zweifelsfrei erläuterte.
Massenproduktion und Qualität können eben nicht über eine Leiste gezogen werden, was auch die vielen Rückrufe in der Autobranche beweisen. Ein diesbezüglicher Hoffnungsschimmer ist die in Gang gesetzte 4. industrielle Revolution „Industrie 04“, welche angeblich dereinst Einzelfertigungen zu Serienkosten ermöglichen soll.
Den arg strapazierten Füssen stehen demnach paradiesische Zeiten bevor, wenn heute 2‘000 bis 4‘000 Franken teure Massschuhe künftig zum Serienpreis erstanden werden können, woran allerdings die Orthopädieschuhmacher wohl wenig Freude hätten, zumal dann auch noch die Empfehlung „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ ihre Gültigkeit verlöre, respektive deren Beibehaltung für die Berufstätigen sehr kontraproduktiv wäre.
Vergoldung vergeht, aber Leder besteht
Die Geschichte des Sattels geht zurück bis in die Antike. Der Sattel wurde wahrscheinlich von Reiterstämmen aus dem Osten entwickelt. Die Herstellung eines Sattels ist jedoch auch heute noch eine grosse Kunst, die viel Wissen und Können erfordert. Jeder Sattel wird individuell auf das Tier angepasst. Doch was vor nicht allzu langer Zeit ein alltäglicher Gebrauchsgegenstand war, dient heute meist nur Hobbyreitern. Gleichwohl gibt es diesen Nutzgegenstand immer noch, genau wie den nach ihm benannten Beruf.
Sattler sind indes selten geworden, und ihr Berufsbild hat sich erheblich gewandelt. Das kann Andy Mackay praxisnah bestätigen, da er sich in seinem „Läderlade“ in Magden mehrheitlich auf Taschen, Koffer und modische Accessoires wie beispielsweise Gürtel und Reparaturen konzentriert. Sein Werkzeugsortiment deutet jedoch darauf hin, dass die handwerklichen Attribute des Sattlers, Stanzen, Zuschneiden, Zurichten, Abkanten, Formen und Verputzen des Leders nach wie vor gefragt sind wie desgleichen handwerkliches Geschick, Geduld und Ausdauer.
Ist der Sattler ein aussterbender Beruf? „Nicht unbedingt", antwortete Andy Mackay, denn die Nachfolger von Pferd und Kutsche hätten schon lange deren Arbeit generieret; dazu gehört: Das Beziehen von Sitzen, die Fertigung von Planen aller Art, meist für Lkw oder Anhänger, aber auch als Schutz für Oldtimer, Sitzbänke für Motorräder, Zelte und Abdeckhauben usw. „Also alles, was in und um das Auto mit (Kunst-)Leder oder Stoff bezogen oder in der Freizeit gebraucht werden kann", sagte Andy Mackay. „Im Gegensatz zu Massenprodukten stellen wir unsere Produkte individuell und handwerklich passgenau her", versichert der Meister.
Tatsache ist: Ob auf dem Pferderücken, hinter dem Lenkrad oder im Flugzeug – in all diesen Situationen wäre man ohne den Sattler aufgeschmissen. Denn was wäre der Reiter ohne Sattel, ein Auto ohne Sitze, ein Urlauber ohne Koffer und nicht zu vergessen, eine Hose ohne Gürtel oder gar eine Frau ohne Handtasche?
«Fürs Fricktal – fricktal24.ch – die Internet-Zeitung»