Cécile Cassini-Rotzinger – Netzwerkerin in Kaiseraugst
Von: Andreas Fischer
Mit viel Herzblut engagiert sich Cécile Cassini-Rotzinger für die Flüchtlinge in Kaiseraugst. Anlässlich einer Begegnung, in der wir über Erreichtes sowie Ideen und Pläne für die Zukunft austauschen, erzählt sie auch Persönlich-Biografisches, das hier, mit Erlaubnis der Porträtierten, publiziert sei.
Cécile Cassini-Rotzinger (Fotos: Jutta Wurm)
„Die Menschen, die im Kaiseraugster Asylzentrum leben, bringen mich ins Grübeln“, sagte Cécile Cassini, als sie mich vor einem Jahr erstmals anrief. „Sechzig, siebzig sind es, viele von ihnen junge Männer aus Eritrea, Afghanistan, Syrien. Sie sprechen kaum Deutsch, kehren nachts, mit dem Dosenbier in der Hand, aus Basel zurück, schauen verwirrt und verirrt in eine ihnen fremde Welt. Und irritieren die Einheimischen.“ Auch sie selber sei manchmal irritiert, sagte sie und fragte, ob man da nicht etwas tun könne.
Seither hat Cécile Cassini mit der ihr eigenen Beharrlichkeit einiges erreicht: Im reformierten Kirchgemeindehaus findet mehrmals in der Woche Deutschunterricht statt, drei ausgebildete Lehrerinnen engagieren sich dabei ehrenamtlich. Es gibt Begegnungscafés „Am Schärme“, dem katholischen Pfarreizentrum, Bootsfahrten auf dem Rhein, Ausflüge in den Zolli.
Auch an die Basler Fasnacht sei eine bunte Chaiseraugster Truppe gegangen, erzählt Cécile Cassini, „die Waggis warfen uns Rüebli und Blumen zu, mit Räppli wurden wir glücklicherweise nicht eingedeckt“. Sie selber, die mit der Fasnacht gross geworden ist, habe die drey scheenschte Dääg erlebt, als wären es ihre ersten.
Und weiter: Vereine haben ihre Türen geöffnet, im Gospelchor singen einige Asylbewerber mit, andere liefern „Essen auf Rädern“ aus, mit dem Velo, im Auftrag von Kaiseraugst PLUS, der örtlichen Nachbarschaftshilfe. Und auf lokalpolitischer Ebene hat die begabte Netzwerkerin regelmässige Sitzungen eingeführt, an denen Asylbewerber, Freiwillige, kirchliche Vertreter, Mitarbeiter der ABS Betreuungsservice AG, die das Asylwohnheim führt, sowie Verantwortliche der Gemeinde und auch die Gemeindepräsidentin selber teilnehmen.
„Es Einerli Wysse“
Auf die Frage, was sie eigentlich antreibe, gibt Cécile Cassini zunächst eine biografische Antwort: „Meine Grosseltern mütterlicherseits stammten aus der Innerschweiz und arbeiteten zeitweise in Cannes als Kutscher, später als Restaurantbetreiber. Meine Mutter kam mit sieben nach Kaiseraugst, doch sie hatte zeitlebens Sehnsucht nach Frankreich.“
Dort sei ihre eigentliche Heimat gewesen. „Der Vater“, fährt Cécile Cassini fort, „stammte aus dem Schwarzwald, er war ein Niemand und musste der Welt zeigen, dass er etwas kann“. Er gründete dann die Firma Rotzinger, einen, wie es auf der firmeneigenen Website heisst, „führenden Hersteller von Förder-, Austrage- und Speicheranlagen“. Der Sitz der Rotzinger AG an der Rinaustrasse ist just neben dem Asylzentrum.
Mit neunzehn heiratete Cécile Edi Cassini, einen Italiener. „Er hatte, um nur diese eine paradigmatische Anekdote zu erzählen, in München am Goethe-Institut Deutsch gelernt. Als er in Basel als Kellner arbeitete, verstand er nicht, was der Gast mit einem ‚Einerli Wysse‘ meinte. Worauf dieser empört seinen Schweizer Pass aus der Tasche zog und verkündete, er sei, imfall, ein Schweizer und könne hier reden, wie ihm der Schnabel gewachsen sei.“
Diskriminierungen, Heimweh, der Wille, es der Welt zu zeigen: Cécile Cassini war in ihren jungen Jahren persönlich mit Migrationsthemen konfrontiert.
Später führte sie gemeinsam mit ihrem Mann die trendige Basler Kulturbeiz Atlantis. Unter dem Label „Jazz at midnight“ fanden legendäre Live-Konzerte statt, die Sendung „Persönlich“, damals mit Heidi Abel, wurde von dort ausgestrahlt. Das Klosterbergfest, einst aus dem Bedürfnis entstanden, das Sommerloch etwas aufzufüllen, ist heute noch ein blühender Multikulti-Event mit Ständen aus aller Welt.
Xund
Der Glamour hatte seinen Preis, das Ehepaar trennte sich, Edi Cassini starb mit 57 Jahren, sein Credo lautete, er habe exzessiv gelebt - und es habe für ihn gestimmt. Cécile Cassini hingegen fing an, sich mit ganzheitlicher Gesundheit zu befassen. Sie lernte Krankenschwester, bildete sich in Polarity, einer Form von Körpertherapie weiter.
Weil ihr das Organisatorische stets auch wichtig ist, wurde sie Präsidentin des Polarity-Verbands und Vorstandsmitglied des Dachverbands Xund. „Dass komplementäre Medizin aus der esoterischen Ecke herausfindet, dass entsprechende Anbieter nicht mehr im Ruf profitierender Schlaumeier und Scharlatane stehen“, das war ihr ein Herzensanliegen. Nach fünfzehnjähriger Arbeit wurde 2015 ein eidgenössisches Diplom für Komplementär-Therapie eingeführt.
Doch Cécile Cassinis Visionen gehen über den Gesundheitsbereich hinaus ins Gesamtgesellschaftliche. Auch hier geht es ihr um Ganzheitlichkeit. Was die Menschheit brauche, sagt sie, sei die Integration aller menschlichen Aspekte, des körperlich-materiellen Aspektes ebenso wie des emotionalen, des mentalen und des spirituellen. Eine solche Integration würde sicheren Schutz vor Populismus bieten. Denn dieser sei Ausdruck des verdrängten und deshalb verwilderten emotionalen Aspektes.
„Es bedarf wachsender Innerlichkeit, um zu innerer Klarheit zu finden, nicht nur im eigenen Seelengarten, sondern auch in der Gesellschaft. Statt des Wettkampfmässig-Mentalen und –Materiellen sollte die emotional-spirituelle Fürsorge füreinander und für die Natur in den Vordergrund treten. Dann entstünde ein neues, nachhaltiges Gleichgewicht der Kräfte.“
Intelligenz des Herzens
Cécile Cassini spricht mit griffigen Sätzen, die aus einem Parteiprogramm stammen könnten. Und tatsächlich ist sie Co-Präsidentin der „Integralen Politik“, einer Bewegung, die „aus der Intelligenz des Herzens“ politisieren will. Ihr Leitsatz, dass Politik Verantwortung heisse, gelte, sagt Cécile Cassini, auch für die Asylbewerber. „Die Bereitschaft, sich zu integrieren – und das heisst auch und vor allem: die Sprache zu lernen – ist unabdingbar. Da darf man keinem naiven Humanismus anheimfallen.“
Und was hat Cécile Cassini selber zu lernen? „Bescheidenheit im Helfen“, lautet die spontane Antwort. Nein zu sagen, Grenzen zu respektieren, die eigenen und die anderer, sich nicht zu überlupfen. „Mit siebzig will ich alle Verantwortung abgeben. Das dauert nicht mehr so lange. Aber noch lange genug, um ein paar Ideen zu verwirklichen.“
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