Ein rechter Arm – neu geschenkt
Von: Sibylle Augsburger, Interpharma
Einem Ärzteteam des Berner Inselspitals ist es mit einer aufwändigen Operation gelungen, den Arm einer jungen Patientin, der bei einem Unfall fast vollständig abgetrennt wurde, wiederherzustellen.
Der Berner Gefässchirurg Dr. med. Pascal Kissling mit seiner ehemaligen Patientin. (Foto: Insel Gruppe / Pascal Gugler)
Es war im August 2015, als die junge Frau aufbricht, um ihre Lehre als Pharma-Assistentin zu beginnen. Auf dem Perron des Bahnhofs geschieht dann das Unglück: Ein heranfahrender Zug erfasst die damals Sechzehnjährige und verletzt sie schwer. Der rechte Arm wird fast vollständig vom Oberkörper abgetrennt.
Die Rega fliegt das Unfallopfer ins Berner Inselspital. Dort gelingt einem interdisziplinären Ärzteteam während eines sechzehnstündigen Eingriffs die Wiederherstellung (Replantation) des Arms. Die Spezialisten verschiedener Fachrichtungen rekonstruieren Knochen, Blutgefässe, Nervenbahnen und Muskeln, und sie ersetzen die fehlenden Weichteile.
Mit dabei war damals Dr.med. Pascal Kissling, Oberarzt an der Universitätsklinik für Herz- und Gefässchirurgie: „Die Patientin wurde abwechselnd von verschiedenen Chirurgenteams operiert. Ich persönlich war am Anfang ca. drei Stunden am Operationstisch, dann nach ca. zwei Stunden Pause nochmals ca. vier Stunden“, berichtet Pascal Kissling. „Für mich als Gefässchirurg war es eine Herausforderung, die Arterie und die Vene, welche einen Durchmesser von nur ca. 3 mm hatte, mit zwei Interponaten, die wir aus der Vene eines Beins entnommen hatten, zu rekonstruieren und so die Blutzirkulation in der Arm wiederherzustellen.“
Die Feinmotorik fehlt noch
45 Tage nach der Operation konnte die Patientin das Spital verlassen. Drei Monate lang weilte sie im Rehabilitationszentrum für Kinder und Jugendliche des Kinderspitals Zürich in Affoltern am Albis.
Heute hat die Frau, die in der Öffentlichkeit nicht mehr über den schrecklichen Unfall sprechen möchte, wieder einen funktionsfähigen rechten Arm und kommt ohne Medikamente aus. Was noch fehlt, ist die Feinmotorik der Finger. Um hier weitere Verbesserungen zu erzielen, besucht sie einmal pro Woche eine Ergo- und Physiotherapie.
„Unsere Patientin ist mit dem optischen und funktionellen Resultat sehr zufrieden“, sagt Pascal Kissling. Ob die Feinmotorik sich in Zukunft wieder vollständig einstellen wird, kann der Berner Gefässchirurg nicht abschliessend sagen: „In der Literatur ist beschrieben, dass es nie zu einer vollständigen Erholung der Feinmotorik kommt. Durch intensive Physio- und Ergotherapie kann die junge Frau jedoch auch nach zwei Jahren weiter auf eine Verbesserung der Funktion hoffen, da die Regeneration der Nerven noch nicht abgeschlossen ist.“
Prothese vermeiden
Die Ärzte des Inselspitals konnten mit der gelungenen Replantation des Armes verhindern, dass die Patientin mit einer Prothese versorgt werden musste. Damit dies gelingt, müssen nach Auskunft von Dr. Kissling mehrere Bedingungen erfüllt sein. So dürfen die Begleitverletzungen nicht lebensbedrohlich sein oder durch den Replantationsversuch lebensbedrohlich werden.
Wichtig ist auch, dass zwischen dem Unfall und der Operation nicht mehr als sechs Stunden vergehen. Dauert diese sogenannte Ischämie-Zeit länger, beginnen die Zellen der abgetrennten Extremität abzusterben. Im oben geschilderten Fall betrug die Ischämiezeit vier Stunden. Dritte Bedingung: Im behandelnden Spital müssen genügend Ressourcen für den komplexen Eingriff vorhanden sein. Insbesondere ist es erforderlich, dass Spezialisten aus den verschiedenen Disziplinen sofort für den operativen Eingriff zur Verfügung stehen.
«Fürs Fricktal – fricktal24.ch – die Internet-Zeitung»