Kaiserin Maria Theresias Mythos wird entstaubt
Von: Viola van Melis, idw
Zum 300. Geburtstag von Kaiserin Maria Theresia (13.5.1717 bis 29.11.1780) sind nach neuesten Forschungen viele Klischees über eine der mächtigsten Frauen der Geschichte über Bord zu werfen. „Maria Theresia verkörpert einen Mythos, der in Österreich (aber auch in der Schweiz und speziell im Fricktal) lange an verlorene Grösse erinnern sollte, heute aber entzaubert werden muss“, sagt die Historikerin Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster.
Porträt Maria Theresias, das sie als „Erste Dame Europas“ in einem kostbaren Kleid aus Brabanter Klöppelspitze zeigt. Zu ihrer Rechten liegen die ungarische Stephanskrone, die böhmische Wenzelskrone und der österreichische Erzherzogshut als Symbole ihrer Macht und Würde (Gemälde von Martin van Meytens, um 1752) (Foto: Wikipedia)
„Der Mythos beschreibt Maria Theresia als Herrscherin der Herzen, die ihre Kinder und Untertanen liebte, als Heldin, die Recht gegen Macht verteidigte, als fromme Regentin, die die Religionsausübung stärkte, als bieder-bürgerliche ‚Reichshausfrau‘, die mit Privilegien und steifem Zeremoniell am Hof aufräumte, und als Begründerin des modernen Verwaltungsstaates.
Doch viele der Stereotype lassen sich nicht halten.“ Die Forscherin widerlegt sie in der neuen Biographie „Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit” und stützt sich auf viele, teils unbekannte Quellen. Das Werk aus dem Verlag C.H.Beck wurde gestern Donnerstag an der Leipziger Buchmesse mit dem Sachbuchpreis ausgezeichnet.
„Maria Theresia war nicht nur die treusorgende Landesmutter, als die Historiker sie oft darstellten“, unterstreicht Stollberg-Rilinger, deren tausendseitiges Werk eine ganze Epoche spiegelt und viele zeitgenössische Stimmen gezielt miteinander konfrontiert. „Vielmehr zeigen die Quellen auch andere Seiten. Sie war eine überaus selbstbewusste Regentin, vom göttlichen Auftrag ihrer Dynastie fest überzeugt. Dieser Glaube verlieh ihr die Zuversicht, sich auch in aussichtsloser Lage zu behaupten, etwa jahrelang kompromisslos Krieg um ihr Erbe zu führen und Reformen durchzusetzen. Doch er verlieh ihr auch die Unerbittlichkeit, mit der sie die eigenen Kinder behandelte, und die Erbarmungslosigkeit, mit der sie gegen Andersgläubige – Protestanten und Juden – vorging.“
Zum Schutz der „wahren katholischen Religion“ liess die Habsburgerin Protestanten, „räudige Schafe in der ihr anvertrauten christlichen Herde“, in Konversionshäusern umerziehen oder deportieren. In der Heiratspolitik opferte sie ihre Kinder mit aller Härte der dynastischen Räson, wohlwissend, dass manche der Heiraten auch nach damaligem Massstab eine Zumutung waren.
Maria Theresias zahlreiche Korrespondenzen belegen Stollberg-Rilinger zufolge, wie sie ihre Umgebung stets zu manipulieren suchte, aber zugleich von allen anderen vollkommene Aufrichtigkeit verlangte. „Das ging nicht gut. Es herrschten Heuchelei und Verstellung.“ Ähnlich gestaltete sich ein „quälerischer Kleinkrieg“ zwischen Maria Theresia und dem Sohn und Mitregenten Kaiser Joseph II., dem sie misstraute: „ein kommunikatives Dilemma über Jahre, an dem beide litten, ohne einen Ausweg zu finden“.
Das waren nur wenige Bausteine eines grossen Kontrollprogramms, wie die Autorin darlegt: Maria Theresia suchte durch ihre Töchter auf die verbündeten Höfe Einfluss zu nehmen, liess die Länder und Bevölkerung zählen und ihre Untertanen zu Sittenstrenge und Fleiss erziehen. Am Hof in Wien ging es wesentlich exklusiver zu als oft dargestellt, die Regeln der Patronage waren nicht abgeschafft. „Von den Untertanen wurden weit weniger zur Kaiserin vorgelassen, als der Mythos ihrer Milde und Zugänglichkeit nahelegt.“
Den Ruf der liebenswürdigen und grosszügigen Regentin wusste die Kaiserin selbst strategisch zu mehren – etwa durch gezielte Gunsterweise, eine Rhetorik der Nähe und Familiarität, aber auch durch die Kontrolle der Überlieferung ihrer eigenen Geschichte. „Maria Theresia vernichtete wahrscheinlich den grössten Teil der Papiere ihres Gatten, suchte die Briefe der Schwiegertochter aus der Welt zu schaffen und nötigte Kinder und Vertraute, ihre Briefe zu verbrennen.“
Ihre vielen Reformen führten nicht zu dem modernen bürokratischen Staat, dessen Gründung die Geschichtsschreibung Maria Theresia bisher zuschrieb. Barbara Stollberg-Rilinger sieht einen Mangel an partizipativen Verfahren und Strukturen von der zentralen bis zur lokalen Ebene.
Männerphantasien in der Geschichtsschreibung
„Sieht man genauer hin, ist das populäre Bild der Kaiserin-Königin immer noch von der nationalistischen Geschichtsschreibung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts geprägt, während jüngere Historiker bisher einen Bogen um sie gemacht haben“, so Stollberg-Rilinger.
Eine neue, post-heroische Biografie könne Maria Theresia nur aus ihrer eigenen Zeit verstehen, nicht aus den Rückprojektionen des 19. Jahrhunderts. „Die Historiker sahen in Maria Theresia die ideale bürgerliche Familienmutter und liebende Gattin, für sie verkörperte sie das Weiblichkeitsideal des 19. Jahrhunderts. Dass sie zugleich eine mächtige Herrscherin war, machte sie zur grossen Ausnahmefigur und regte zu Männerphantasien an: Sie erschien als die Gebärerin des Staates.“
Tatsächlich sei aber eine „Weiberherrschaft“ damals nicht ungewöhnlich gewesen, erläutert die Historikerin. „Neu war, dass die Regentin das Regieren als persönliche Aufgabe ernst nahm. Viele andere Monarchen gingen lieber ihren Neigungen nach.“ Der lebenslange Gegner Friedrich II. von Preussen wurde in der Geschichtsschreibung zum Gegenpart: „Preussen gegen Österreich, das war männliches gegen weibliches Prinzip, Verstandeskälte gegen Herzenswärme, Angriff gegen Verteidigung, Unglauben gegen Frömmigkeit.“
Die Wissenschaftlerin hat für die Biografie sehr unterschiedliche Quellen ausgewertet: Archivalien der Zentralbehörden, Gesandtenberichte und Zeremonial-Beschreibungen, Tagebücher und Reisejournale sowie vor allem Korrespondenzen. „Die wichtigsten Quellen sind Maria Theresias Briefe und handschriftlichen Billetts. Sie kümmerte sich um alles selbst und verbrachte Tag und Nacht am Schreibtisch“, so die Historikerin.
Sie betont, eine Biografie könne heute nicht mehr aus Sicht des allwissenden Erzählers geschrieben werden. Stattdessen verknüpft die Autorin analytische und erzählerische Elemente und stellt häufig verschiedene Wahrnehmungsweisen nebeneinander. Zu Wort kommt eine Bandbreite an Zeitgenossen: vom aufgeklärten Leibarzt zum ökonomischen Projektemacher, von der durchreisenden Engländerin zum alt-aristokratischen Obersthofmeister, vom Prager Juden bis zum Tiroler Bauernsohn. „Hinzu kommen selbstverständlich die Stimmen Maria Theresias selbst und ihrer Familienmitglieder.
Die Autorin
Die Frühneuzeit-Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger hat seit 1997 den Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) inne. 2005 erhielt sie den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), 2013 den deutschen Historikerpreis des Historischen Kollegs München. Sie war von 2011 bis 2015 Sprecherin des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Uni Münster und ist seither stellvertretende Sprecherin. Sie leitet am Forschungsverbund das Projekt B2-22 „Jenseits konfessioneller Eindeutigkeit. Zur diskursiven Formierung religiös devianter Gruppen in der Frühen Neuzeit“. Die Biographie über Maria Theresia ist unter anderem im Rahmen eines Fellowships am Wissenschaftskolleg zu Berlin von 2015 bis 2016 entstanden.
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