Bauen mit Abfall und Recycling-Material
Von: mm/f24.ch
Ein Wohnmodul, das sortenrein aus wiederverwendbaren, wiederverwertbaren oder kompostierbaren Materialien konstruiert ist: An dieser Prämisse orientiert sich die neueste Unit im NEST (siehe INFO), dem modularen Forschungs- und Innovationsgebäude von Empa und Eawag in Dübendorf. Gestern wurde die NEST-Unit «Urban Mining & Recycling» feierlich eröffnet und fortan zwei Studierenden ein Zuhause bieten. Gleichzeitig soll sie als belebtes Labor dazu dienen, den Wandel der Bauindustrie in Richtung Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen.
Immer knapper werdende Ressourcen und der daraus abgeleitete Wunsch, der heutigen Wegwerfmentalität den Rücken zu kehren, führen dazu, dass sich die Baubranche vermehrt Gedanken über die Mehrfachnutzung und Rezyklierbarkeit von Materialien sowie über alternative Konstruktionsmethoden machen muss.
Die neueste NEST-Unit «Urban Mining & Recycling» setzt diese Ideen konsequent um: Entstanden ist ein Wohnmodul, dessen Strukturen und Materialien nach dem Rückbau vollständig und sortenrein wieder- oder weiterverwendet, rezykliert oder kompostiert werden können.
Das Konzept dazu stammt von Werner Sobek mit Dirk E. Hebel und Felix Heisel. Werner Sobek ist Leiter des Instituts für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren der Universität Stuttgart und Gründer der gleichnamigen Unternehmensgruppe. Dirk E. Hebel ist Leiter und Felix Heisel Forschungsverantwortlicher des Fachgebiets Nachhaltiges Bauen am KIT Karlsruhe und des Future Cities Laboratory am Singapore-ETH Centre.
«Das nach wie vor anhaltende Wachstum der Weltbevölkerung sowie zur Neige gehende Ressourcen erfordern dringend ein Umdenken im Bauwesen», so Werner Sobek. «Wir müssen künftig mit sehr viel weniger Materialien für sehr viel mehr Menschen bauen.»
Eine zentrale Rolle auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Bauwirtschaft spielt deshalb der Kreislaufgedanke: «Die verwendeten Materialien werden nicht verbraucht und dann entsorgt; sie sind vielmehr für eine bestimmte Zeit aus ihrem Kreislauf entnommen und werden später wieder in diesen zurückgeführt», erklärt Dirk E. Hebel das Konzept.
In der NEST-Unit «Urban Mining & Recycling» kommen dementsprechend verschiedenste, seriell verarbeitete Bauelemente zum Einsatz, deren unterschiedliche Materialien sortenrein und rückstandsfrei in ihre jeweiligen Stoffkreisläufe zurückgeführt werden können. Unter anderem werden neuartige Dämmplatten aus Pilz-Myzelium, innovative Recyclingsteine, wiederverwertete Isolationsmaterialien sowie geleaste Teppichböden verwendet.
Reversible Materialverbindungen als Voraussetzung für sortenreine Trennung
Das Tragwerk und grosse Teile der Fassade bestehen aus unbehandeltem Holz. «Hier liegt die Innovation in den Verbindungen», erklärt Felix Heisel vom KIT. «Sämtliche Verbindungen können einfach rückgängig gemacht werden, weil die Materialien beispielsweise nicht verklebt, sondern gesteckt, verschränkt oder verschraubt sind.»
Das eingesetzte Holz wird zudem so verwendet, dass eine sonst übliche chemische Behandlung nicht nötig ist und damit die sortenreine Wiederverwertung oder eine rein biologische Kompostierung möglich wird. Zusätzlich zum Holz besteht die Einfassung der Fassade aus wiederverwendeten Kupferplatten, die zuvor das Dach eines Hotels in Österreich deckten, bzw. aus Platten, die aus eingeschmolzenem, wiederverwertetem Kupfer gefertigt wurden.
Die komplette Unit wurde im Werk vorfabriziert und innerhalb eines Tages ins Forschungsgebäude auf dem Empa-Campus in Dübendorf eingebaut. In Kürze werden zwei Studierende in die Dreizimmerwohnung einziehen und sich mit den beteiligten Forschern regelmässig über ihre Alltagserfahrungen austauschen.
«Mit der Umsetzung und der Demonstration des konsequenten Kreislaufkonzepts in einem realen und bewohnten Bauprojekt, erhoffen wir uns natürlich, das wir ein Umdenken im Bauwesen anstossen können», sagt Enrico Marchesi, verantwortlicher Innovation Manager im NEST. «In Zukunft sollen Gebäude nicht nur Wohn- und Arbeitsraum bieten, sondern gleichzeitig auch als Materiallager für die nächste Generation dienen.»
INFO
NEST steht für «Next Evolution in Sustainable Building Technologies» (Nächste Evolution in nachhaltigen Gebäudetechnologien). Dank diesem Gebäude kommen Innovation am Bau in Zukunft schneller und ausgereifter auf den Markt. NEST dient nicht nur als Labor, sondern wird real als Wohnhaus und Büro-/Konferenzgebäude genutzt – alle Module werden von echten Nutzern evaluiert.
Das NEST ist ein modulares Gebäude mit festem Kern und austauschbaren Wohn- und Arbeitsbereichen. Hier werden künftig neue Wohn- und Arbeitsformen erprobt, innovative Baumaterialien getestet und Energiesysteme geprüft. Als akademische Partnerinstitutionen sind neben der Empa und der Eawag die ETH Zürich, die EPF Lausanne und die Hochschule Luzern beteiligt.
Unter der Leitung der Eawag werden im NEST Konzepte getestet, die eine Mehrfachnutzung von Wasser und Abwasser ermöglichen. Das Forschungsgebäude soll auch dazu beitragen, vielversprechende Lösungen zur Reduktion des Wasserverbrauchs und zur Nutzung der Stoffe im Abwasser weiterzuentwickeln.
Auch der Energie- und Wasserbedarf kann bei jedem Raummodul einzeln erfasst und ausgewertet werden. Nach dem Ende eines Forschungsprojekts wird die jeweilige Wohneinheit aus dem Haus entfernt und durch ein neues ersetzt.
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