Das Licht in die Welt tragen
Von: Elisha
Fiona ist traurig. Sie liebt Ostern, wenn morgens der Vater durch die Terrassentür kommt und feststellt, dass der Osterhase anscheinend wieder am Werk war. Natürlich glaubt Fiona nicht mehr an den Osterhasen, aber sie spielt mit und sucht und findet Nester, Schokohasen und Zuckereier. In diesem Jahr ist aber alles anders. Ihre Mama liegt im Krankenhaus. Nichts Schlimmes, hat Papa gesagt. Aber schlimm genug, dass sie nicht zu Hause Ostern feiern kann.
Jetzt ist sie bei Oma Henriette und Opa Karl, und dort ist alles anders als gewohnt. Da gab es tagelang keine Süssigkeiten und Plätzchen, weil Fastenzeit war, und das bedeutet für ihre Grosseltern, dass weder Fleisch noch Zucker gegessen werden. Und auch die versteckten Eier sind eine Enttäuschung, das hat Fiona bei einem Besuch vor zwei Jahren schon herausgefunden.
Gut, zu Hause gibt es auch Hühnereier darunter, aber sie sind bunt und keck bemalt mit lustigen Gesichtern und tragen Schnurrbärte und Schirmkappen. Bei den Grosseltern sehen sie schäbig aus, bräunlich, blassrosa, grünlich. Mama hat Oma zwar gelobt, wie natürlich die Färbung mit Zwiebeln, Rande und Kräutern geklappt hat, aber sie hatte dabei denselben Tonfall, wie wenn sie der Nachbarin etwas Nettes sagt, obwohl sie sie gar nicht leiden kann.
Opa Karl hat auch von Jesus geredet und Fiona erzählt, weshalb überhaupt Ostern gefeiert wird.
„Ich würde meinen Sohn nicht töten lassen, wenn ich Gott wäre“, hat Fiona empört gesagt, „da sehe ich gar keinen Sinn drin.“
„Ohne Tod gäbe es keine Auferstehung“, hat er erwidert und hilfesuchend zu seiner Frau geschaut.
Oma Henriette hat gelächelt und Fiona über den Kopf gestreichelt. „Die Erneuerung des Lebens, Liebes! Das ist etwas Wunderschönes. Und die Natur feiert mit. Nach der Zeit der Dunkelheit scheint die Sonne wieder länger, die Pflanzen bekommen neue Blätter, Häschen und Lämmer werden geboren.“
Eine richtige Erklärung war das auch nicht, aber etwas in Omas Stimme rührte Fiona an.
„Und dieses Jahr kommst du mit zur Lichterfeier in der Kirche, dann kannst du das richtig erleben.“
Es ist noch Nacht, als Oma Henriette an Fionas Bettdecke zupft.
„Zeit aufzustehen. Die Messe beginnt um fünf Uhr.“
Fiona sieht auf den Wecker neben ihrem Bett und erschrickt. „Das schaff ich doch gar nicht mehr. Da müssen wir ja gleich los!“
„Kein Frühstück. Wasch dich nur und putze dir die Zähne, Liebes. Das Fasten brechen wir später.“
Sie verlassen das Haus, gehen durch das Gartentor und steigen dann den Hügel hinauf zur Kapelle. Es ist immer noch dunkel und ganz still. Kein Vogel singt oder zwitschert. Von allen Seiten kommen die Menschen zusammen, gehen schweigend in die kleine Kirche. Auch dort ist es stockfinster, und nicht eine einzige Kerze erhellt den Raum. Oma Henriette legt ein Teelicht in Fionas kleine Hand.
Mit staunenden Augen sieht Fiona zu, wie eine grosse, verzierte Kerze mit hellem Lichtschein in den Raum getragen wird und hört die Worte: „Christus ist das Licht des Lebens“. Ihr ist ganz feierlich zumute, als das Licht der dicken Kerze an die Gemeinde weitergegeben wird. Jeder zündet sein Feuer an dem des Banknachbarn an, und so breitet sich das Licht, Reihe für Reihe, in der ganzen Kirche aus. »
„Lasst uns gemeinsam das Licht in die Welt tragen.“ Langsam stehen alle auf, verlassen singend die Kirche.
„Und jetzt nach Hause“, sagt Oma Henriette und drückt Fionas Hand. „Auf zum Frühstück!“ Es dämmert auf dem Heimweg.
Sie sind gerade wieder im Häuschen, als Fionas Vater durch die Hintertür herein kommt.
„Der Osterhase war anscheinend wieder am Werk“, murmelt er und zwinkert sie an. Hinter ihm entdeckt Fiona bunte Tupfen im Gemüsegarten, wie von Schokohasen und Zuckereiern.
„Du hier?“ Fiona läuft auf ihn zu und schwingt sich in seine ausgestreckten Arme.
„Natürlich!“ Er setzt sie vorsichtig ab. „Schliesslich wollen wir doch die Mama im Spital besuchen. Ob du wohl ein schönes Ei für sie findest?“
*** Frohe Ostern ***
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