Wachstumsförderung
Von: Karl Feldkamp
Der Mensch wächst mit seinen Ausreden. Jedenfalls ich. Obwohl bei mir längst altersbedingtes Schrumpfen angesagt wäre. Allerdings nicht im Liegen. Horizontal erreiche ich neue Höhen und Breiten. Besonders im Reich der Körpermitte.
Meine höchste Erhebung ist der behaarte Kraterrand rund um meinen ausgedehnten Bauchnabel, der sich, schaue ich liegend in Richtung unsichtbare Füsse, unter dem stramm gespannten T-Shirt abzeichnet. Und Hüftgold ist ebenfalls recht gut angelegt.
Ausreden für mein ausuferndes Volumen habe ich überreichlich: Mein Bauch lässt mich imposanter erscheinen und gibt mir die Ausstrahlung eines Wohlhabenden. Ein Spargeltarzan in meinem Alter. Wie würde das aussehen? Magersucht war noch nie meine Leidenschaft. Ich esse gern. Und das ist keine Ausrede sondern die reine Wahrheit.
Allerdings für die jeweiligen Nahrungsmengen fallen mir wiederum allerbeste Argumente ein. Es ist doch nur ein Gebot der Höflichkeit, auf die Gastfreundschaft meiner Freunde und Verwandten einzugehen. Schliesslich gibt sich die Frau meines auch nicht gerade schmalen Freundes mit dem Menue, das sie mir und meiner Frau serviert, immer sehr viel Mühe. Und das verpflichtet, alle ihre Speisen unübersehbar zu geniessen, auch wenn ich dafür das Opfer bringen muss, anschliessend noch umförmiger zu erscheinen. Für die Köchin sind leer gegessene Teller als sichtbares Kompliment glaubwürdiger als irgendwelche Sprüche, die behaupten, es habe lecker oder grandios geschmeckt.
Wie Frauen so sind, hält sich die meine beim Probieren der Speisen der Konkurrentin sehr zurück. „Schmeckt es dir nicht?“ will die Frau meines Freundes mit beleidigtem Unterton von der meinen wissen. Um ihrer Enttäuschung entgegen zu wirken, muss ich dann um unserer Freundschaft willen zusätzlich das essen, was meine Frau an Nahrung verweigert.Und da mein Freund sich für einen begnadeten Hobbykoch hält und noch an einem kalorienhaltigen Nachttisch versuchte, kann ich doch als höflicher Gast diese Köstlichkeit nicht einfach ablehnen.
Meiner gelegentlich reizenden Schwiegermutter ein weiteres Stück des extra für mich gebackenen Mohnstreuselkuchens abzuschlagen, gehört sich schon gar nicht. Das könnte ich nicht einmal mit einem Strauss ihrer Lieblingsblumen (rosa Rosen) beim nächsten Besuch wieder gut machen. Wenn dann ihre Tochter, die ich vor über zwanzig Jahren heiratete, beweisen will, dass sie wesentlich besser backen kann als ihre Mutter, bin ich auch noch genötigt, mindestens ein Stück mehr vom ehelichen Kuchen zu essen.
Ja gut, mit Bewegung – sagt auch mein Hausarzt - wäre vieles wieder auszugleichen, zumal ich häufig relativ unbeweglich am Computer sitze. Allerdings immer wenn ich mich entschliesse, wenigstens spazieren zu gehen, muss ich noch schnell in mein E-Mail Postfach sehen. Und was finde ich darin? Eilige Nachrichten, die ich direkt beantworten muss. Kann doch meine Facebookfreunde nicht einfach warten lassen.
Immerhin stehe ich zwischendurch gelegentlich auf, um zur Toilette zu gehen. Dabei nehme ich nicht den direkten Weg sondern, wegen der zusätzlichen Bewegung, den Umweg über die Küche.
Als berenteter Halbtagshausmann habe ich die Überwachung des Kühlschranks übernommen. Ich stelle fest, was eingekauft werden muss und komme somit nicht umhin, ihn täglich mehr als einmal zu öffnen. Meistens nehme ich dabei die Gelegenheit wahr, mir einen Becher Fruchtyoghurt herauszunehmen. Der macht ja nicht dick. Häufig stehen vom Wochenende auf einem der weissen Gitterregale noch einige Tortenstücke. Die esse ich gleich zu Wochenbeginn, damit sie mich im zweiten Wochenabschnitt nicht mehr belasten. Ausserdem könnten sie schlecht werden. Als Kriegsgeburt lernte ich Hunger kennen und kann nun einmal nichts wegwerfen.
Nachdem ich Yoghurt und/oder Torte im Wohnzimmer gegessen habe, gehe ich zunächst auf den Balkon und laufe dort ein paar Schritte auf der Stelle. Danach wird es allerhöchste Zeit für die Toilette. Nach der Entleerung stelle ich mich auf die zu meinen Gunsten fehlerhafte Waage, um mir mindestens zwei Kilo weniger anzeigen zu lassen. Die Wirklichkeit wäre zu deprimierend und würde mich nur demotivieren.
Irgendwann, das habe ich mir aber fest vorgenommen, werde ich auf Anraten meines Arztes mit Joggen im nahe gelegenen Wald beginnen. Obwohl frische Waldluft eigentlich auch wieder Hunger macht.
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