Sprachübungen
Von: Elisha
Das Klettergerät windet sich in einem Bogen aus Metall über den Spielplatz. An mehreren Stellen ist die Farbe abgeplatzt, und rauer Rost schimmert durch die roten und blauen Stangen oder die gelben Leitersprossen. Trotzdem tummeln sich Kinder darauf oder baumeln daran. Schliesslich kann nicht jeder eine der begehrten Schaukeln erwischen, die als Reifen an Ketten schwingen.
Am beliebtesten ist die Nestschaukel, auf der mehrere Kinder liegen und in den Himmel mit den schwebenden Wolken schauen können. Finn hat einen freien Platz darauf erspäht und springt die letzten Sprossen hinab, bevor ihm ein anderes Kind zuvorkommt. Seine Schwester, gerade noch emsig bemüht, ihm nach zu klettern, steht ratlos auf der zweiten Sprosse und sieht ihm nach.
„Julala auch.“
Mein Mann und ich tauschen amüsierte Blicke. „Julia, warte, Oma hilft dir.“ Ich umgreife ihren winzigen Körper und hebe das Leichtgewicht auf den Boden. Sie läuft mit stämmigen Beinen ihrem Bruder nach, bleibt dann vor der vollen Schaukel stehen und sieht den anderen Kindern zu.
„Und ich hatte schon befürchtet, dass sie keine Lust zum Sprechen lernen hat“, raunt mein Mann mir zu. „So lange, wie sie nur da gesagt hat, wenn man im Bilderbuch nach einer Kuh oder einem Esel gefragt hat!“
„Sie hat ja auch ohne Sprache ihre Bedürfnisse gezeigt.“ Und die ganze Familie hatte sie verstanden, wenn sie den Kopf wegdrehte oder die Hand ausstreckte.
„Das war eine schöne Zeit damals, als Philipp sprechen lernte“, sagt mein Mann und legt den Arm um meine Schulter. „Was hat er für süsse Sachen gesagt, wie war das noch mit dem Paradieschen?“
„Er meinte ein paar Radieschen“, antworte ich und sehe unseren Sohn mit den roten Rettichkugeln vor mir beim Abendbrot. „Die mag er auch heute noch.“
Inzwischen gibt es wieder einen Wechsel auf der Nestschaukel, und bevor wir zu Hilfe eilen, hat ein grösseres Mädchen Julia hoch gehoben, so dass sie stolz neben ihrem Bruder liegt. Noch findet er es toll und hält ihre Hand, und ich wünsche mir, dass das Wort Nervensäge nicht so bald in seinem Wortschatz auftaucht. Die Nachmittagssonne scheint jetzt durch das feine Blattwerk einer Birke, und flüchtige Schatten hüpfen mir über Bauch und Beine.
„Dass Kinder überhaupt so mühelos Sprache lernen“, komme ich ins Sinnieren. Ich denke an die Zeit zurück, wie ich, mit dem Baby auf dem Arm, mich sehnsuchtsvoll gefragt hatte, wie mein eigener Sohn einmal Mama sagen würde. Dabei liegt jetzt seine helle Kinderstimme so lang zurück, dass ich immer wieder erstaunt bin, wenn ich Videoaufnahmen aus seiner Kindheit ansehe.
„Mühelos?“ Mein Mann zuckt mit den Schultern. „Auf jeden Fall bewundernswert, wenn ich da an den Urlaub denke.“ Ich weiss, was er meint. Falsch informiert, hatten wir im persischen Aserbaidschan gebucht. Schliesslich hatten wir erfahren, dass die Bevölkerung im Nordwesten des Irans Türkisch spricht. Doch anstatt das Gelernte aus unserem Türkischkurs in die Praxis umzusetzen, wurden wir verunsichert durch die fremden Schriftzeichen an Gebäuden und Strassen und durch einen Wortschwall der Einheimischen, aus denen wir kaum ein bekanntes Wort herauslösen konnten. Wie ein kleines Kind, dem der Wortschatz für seine Gedanken fehlte, hatte ich auf die einfachste Gesprächsführung zurückgegriffen und wie bei einem Bilderbuch auf den nächstbesten Gegenstand, einen Wagen, gezeigt und „Araba“ gemurmelt. Ein junger Mann hatte sich in einer Gruppe umgedreht und lächelnd den Kopf geschüttelt.
„Araba bedeutet hier nicht Auto, sondern Handkarren. Möchten Sie vielleicht einen Wagen mieten?“ So wurde ein Student unser Reiseführer.
„Ich will noch mal klettern“, erklärt Finn und wartet ungeduldig, dass die Schaukel zur Ruhe kommt. Bereitwillig hilft er seiner kleinen Schwester beim Absteigen, und unbeirrt stapft sie hinter ihm her.
„Komme ich zu spät?“, fragt eine wohlbekannte Stimme hinter uns, und mein Sohn setzt sich kurz zu uns auf die Bank, bevor er mit lauten Papa-Rufen umringt wird.
„Wir haben schöne Bilder aufgenommen“, sagt ihm mein Mann.
„Dann gib mir mal das Tablett“, spricht Philipp das Wort absichtlich falsch aus und grinst breit. Nur, weil mein Mann vor Jahren nicht wusste, dass tablet Englisch ausgesprochen wurde, hat sich Philipp das Wort so angewöhnt, um ihn zu necken.
Ich deute auf die Tasche neben uns, aus der Trinkflaschen und eine Plastikdose herauslugen. Eben haben die Kleinen noch Karottenscheiben und Paprikaschnitze gekaut. „Die Kinder haben noch was übrig gelassen“, sage ich zu meinem Sohn. „Möchtest du ein Paradieschen?“
«Fürs Fricktal – fricktal24.ch – die Internet-Zeitung»