Bei den Bananen
Von: Elisha
Eigentlich war es Sina am liebsten, mit ihrer Freundin Malin zu shoppen. Die war aber über das Wochenende bei ihrem Vater in einer anderen Stadt, und ein Einkaufstrip mit der Familie brachte auch Vorteile: kein Bus, kein Umsteigen, und am Ende gab es Essen zum Mitnehmen vom Thai-Stand. Wenn sie nur nicht wieder ihren Bruder Janis suchen mussten ...
Schliesslich war er längst aus dem Alter, in dem ihre Mutter ihnen bei Ausflügen und Chilbibummeln einfach mit einem Filzstift Name und Telefonnummer auf den Unterarm geschrieben hatte. Trotzdem schaffte er es regelmässig, in einem der Geschäfte im Gebäude verloren zu gehen. Vielleicht lehnte er es aber auch einfach ab, sich zu bemühen, pünktlich am vereinbarten Treffpunkt zu erscheinen.
„Wenn du heute nicht da bist, lassen wir dich einfach da, und du musst sehen, wie du nach Hause kommst“, warnte ihn Sina im Auto, aber Janis verzog keine Miene und nahm noch nicht einmal die Stöpsel aus den Ohren. Schrille geshuffelte Rhythmen und verzerrte Basstöne drangen aus dem Gerät.
„Und wo sollen wir uns diesmal treffen?“, fragte Sinas Mutter. „Beim Essensstand, oder kommt ihr zu den Lebensmitteln?“
„Gut, dann treffen wir uns bei den Bananen!“ Sie zog Janis einen der Kopfhörer aus dem Ohr. „Ba-na-nen!“, brüllte sie ihm entgegen.
Im Einkaufscenter stieben sie auseinander. Sina wollte als erstes in die Boutique, um sich die neuen Shirts und Jeans anzusehen. Sie wusste, dass sie sich davon nichts vom Taschengeld leisten konnte, aber vielleicht fand sie eine Inspiration für ein Geschenk zu ihrem Geburtstag in zwei Wochen. Janis stolzierte hinüber zum Musikladen, und Sinas Mutter zog ihre Einkaufsliste aus der Manteltasche und ging hinüber zum Supermarkt.
Sina stöberte zwischen den Pullis, bummelte dann hinüber zum Schuhgeschäft und probierte zwei Paar Stiefel an. An der Kasse hingen silberfarbene Kettchen mit bunten Emaille-Anhängern, rote Sonnen, blaue Monde, goldene Sterne. Am besten gefiel ihr aber ein Saturn in Türkis, den könnte sie sich wünschen. Sie lief hinüber in den Supermarkt und suchte ihre Mutter, die neben einem Ständer mit Billigbrillen stand.
„Mam, weisst du, was ich gefunden habe?“, rief sie aufgeregt, aber ihre Mutter war gerade im Gespräch mit einem Herrn mit Tweedjacke. Oder besser, der Mann redete auf sie ein.
„Legen Sie die Brille zurück!“, sagte er in barschem Ton. „Ich sehe doch, wie Sie das Schild abknibbeln!“
Sina erkannte die Lesebrille mit dem roten Rand in der Hand ihrer Mutter, und verstohlen kratzte diese mit dem Daumen über das winzige, aufgeklebte Schildchen, das die Sehstärke angab. Noch am Sonntag hatte Sina ihre Mutter damit aufgezogen:
„Weisst du, dass du eine Zahl auf dem Glas trägst? Ist das jetzt Mode, Mam?“, hatte sie lachend gefragt.
„Das nicht, aber es stört mich auch nicht“, hatte ihre Mutter erwidert und geschmunzelt.
Sina erwartete jetzt, dass ihre Mutter dem Mann eine schnippische Antwort gab, aber diese stand wie erstarrt. Ach ja, so war das ja mit ihrer Mam, wenn sie fälschlicherweise beschuldigt wurde. Ihre Mutter hatte es ihr mal anvertraut.
„Sag dem Kerl doch, dass das deine Brille ist!“, feuerte Sina sie an. „Oder komm einfach, wir gehen! Wo ist dein Einkaufswagen?“ Sie nahm ihre Mutter beim Arm, und etwas Kariertes rutschte Sina aus dem Jackenärmel.
„Vorsicht, du verlierst deinen Schal!“, warnte ihre Mutter und zog das Tuch ganz aus dem Ärmel.
„Ach, da ist der?“, fragte Sina ungläubig. Sie hatte ihn zu Hause nicht an ihrem Parka gefunden und sich einen anderen umgebunden.
„Die Mutter klaut Brillen und die Tochter Schals?“, fragte der Mann laut, so dass die Umstehenden zu gaffen begannen. „Stehen geblieben! Gibt es hier keinen Detektiv?“
„Was erlauben Sie sich?“, fragte Sinas Mutter mit hochrotem Kopf. Jetzt, als ihre Tochter angegriffen wurde, hatte sie sich wieder gefangen.
„Vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein“, trat jetzt ein junger Bursche mit dunkler Haut und schwarzen Locken auf den Mann zu. „Sie haben nach mir gerufen?“
Jetzt stand dieser erstarrt mit offenem Mund. Der Kaufhausdetektiv fuhr fort: „Mit solchen Beschuldigungen sollten Sie übrigens vorsichtig sein. „Weder diese Brille noch der Schal gehören zu unserem Sortiment.“
In diesem Moment tauchte auch Janis auf. Ganz empört stiess er hervor „Ich denke, wir treffen uns bei den Bananen!“
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