Endlich

Von: Elisha

Ich besprühe das Tuch, wische mit dem Lappen über das dunkle Holz, dann über die elfenbeinfarbenen Tasten. Sie antworten mit einem Klimpern, verspielte Töne, eine Melodie fast wie mein Klingelton vom Handy.

Ich bin zum Kaffee bei euch.
Ich freu mich so. Endlich! Es klingt so normal, wie eine durchschnittliche Familie. Meine Tochter kommt am Sonntagnachmittag und isst Kuchen und Torte mit meinem Mann und mir. Das ist das, was meine Freundinnen immer von ihren erwachsenen Kindern erzählen und ich nicht mehr für möglich gehalten hatte. Nicht bei dem Streit, den wir all die Jahre hatten.

LG Firuseh

LG, liebe Grüsse. Das waren die kleinen Gesten, mit denen wir Verbindung gehalten hatten, immer versteckt, über das Handy. Wir hatten das beibehalten, während mein Mann ihr entgegengeschleudert hatte, wie gross seine Enttäuschung war. Als wenn wir keine Fehler gemacht hätten!

Damals, Anfang der Achtziger, hatten wir den Iran verlassen, um im Westen zu studieren. Wir waren nicht vor der Revolution geflohen, hatten gar Hoffnungen gehegt in dieser Aufbruchstimmung. Doch anstatt neue Schulen zu bauen hatte Khomeini die Universitäten in unserer Heimat geschlossen, und während der Studienjahre, oder spätestens nach unseren Abschlüssen war uns irgendwann klar geworden, dass wir nicht mehr zurückwollten. Das Land, in dem wir aufgewachsen waren, gab es zu dem Zeitpunkt nicht mehr, und die Fremde um uns herum wurde von Tag zu Tag und mit jedem Jahr vertrauter.

Die Geburt unserer Tochter war der Zeitpunkt gewesen, an dem wir wirklich angekommen waren. Den Namen Firuseh, nach meiner Schwiegermutter, hatten wir ihr als Brücke zur vergangenen Kultur mitgegeben, nur als theoretisches Konzept, nie in der Absicht, ihren Rufnamen Anna zu verdrängen.

Reza ist wach, wir fahren los.

Ich blicke auf das Foto, das sie mitgeschickt hat: das verschlafene Gesichtchen, von der winzigen Häkelmütze fast verdeckt, der kleine Mund schief zu einem Gähnen verzogen. Wie süss! Ich kann es kaum erwarten, meinen Enkel in natura zu sehen. Dass ich das noch erlebe! Er gleicht seiner Mutter als Säugling.

Bei dem Gedanken verkrampft sich mein Magen in alter Gewohnheit. Wie wird sie jetzt aussehen? Mein Mann konnte es nicht glauben, als sie das Kopftuch das erste Mal angezogen hatte. Ich war froh über mein Leben ohne Tschador, und sie verhüllte sich freiwillig?
„Das fällt auf mich zurück“, beklagte sich mein Mann. „Schuld ist doch immer der Vater!“
Ich war genauso schockiert, aber ich wollte verstehen, was in meiner Tochter vor sich ging.
„Guck mal in die Medien! Dieser Zwang, ständig sexy sein zu müssen ... Da mache ich nicht mit!“

Gleich fahre ich von der Autobahn ab.

Die letzten Tasten wische ich noch hastig ab, dann ist auch das Klavier bereit. Vielleicht will sie ja gern mal wieder spielen. Mein Mann steht in der Tür, reicht mir die Decke, die wir für Reza auf den Boden legen.

Gleich bin ich d...

Von unten an der Kreuzung ertönt ein lauter Knall.

«Fürs Fricktal – fricktal24.ch – die Internet-Zeitung»