Was bleibt ist Freundschaft
Von: Elisha
Es war so anders, ihn nach all den Monaten zu sehen. Sie hatten alles hinter sich gelassen, die leidenschaftliche Verliebtheit, das laute Streiten und den Kampf um Besitztümer. Deshalb hatte sie auch für das Treffen ein neues Kleid ausgesucht, das ihn mit keinem Ereignis ihrer gemeinsamen Vergangenheit verband. Sie wollte eine gewisse Diva-Qualität erreichen, nicht zu sexy, aber doch ihr Selbstbewusstsein untermalend. Schliesslich hatte sie sich für ein fliessendes Gewebe in Flaschengrün entschieden, das ihren weiblichen Rundungen schmeichelte.
Sie sass bereits im Café und nippte an der Eisschokolade, als er sich ihr näherte. Auch sein Anzug wirkte neu, vom Stil her etwas anders als die gewohnten. Kurz fragte sie sich, ob er sie beeindrucken wollte, aber sie wischte den Gedanken eilig fort. Wahrscheinlicher war, dass seine neue Flamme ihn ausgesucht hatte. Sie atmete ein wenig schneller.
Seine Schritte waren kraftvoll, und ihr fiel wieder ein, warum sie sich vor all den Jahren in ihn verliebt hatte. Seine Mimik, eine Mischung aus Stolz und Verlegenheit, rührte sie kurz, und sie musste sich innerlich zur Ruhe zwingen. Sie nahm den Strohhalm in die Hand und häufte ein wenig Sahne auf sein Ende, um sie dann abzulecken.
„Schön, dass du zu diesem Treffen bereit warst“, sagte er in seinem charmanten Tonfall und setzte sich auf den Stuhl neben sie.
„Was bleibt, ist doch Freundschaft“, sagte sie und lächelte ihr liebenswürdiges Lächeln. Er tätschelte ihre Hand. Nicht das zärtliche Streicheln von früher, sondern scheinbar die Freundschaftsversion.
„Und du bist sicher mit dem Häuschen? Ich meine, dir war es doch so wichtig, dort wohnen zu bleiben.“ Sie sah ihm in die Augen.
„Für uns ist es ein wenig klein, vielleicht will Cordula ja ihre Kinder mitbringen.“
Dieser Name wie der Inbegriff alles Bösen! Die Neue, mit der er sie ersetzt hatte. Kein jüngeres Modell, aber es tat genau so weh. Es fiel ihr schwer, sich unmerklich zu beruhigen, und sie bewegte stumm die Lippen, um innerlich ihr Mantra aufzusagen: „Atmen, atmen, atmen!“
„Ich dachte, es wäre klar, dass die Kinder bei ihrem Vater wohnen bleiben“, sagte sie in unschuldigem Ton. Er blickte sie irritiert an, fragte sich vermutlich, woher ihre Informationen kommen könnten. Schliesslich konnte er nicht wissen, dass die Lehrerin der Tochter ihre Kundin war.
„Wir wollen uns das offen halten“, meinte er vage.
„Und wann kann ich wieder einziehen?“ Sie beobachtete sein Gesicht, entdeckte winzige Spuren zuckender Muskeln, bevor sich die eingeübte Gelassenheit wieder ausbreitete.
„Wenn du willst, können wir gleich anschliessend zum Notar gehen. Da ist schon alles vorbereitet. Und übermorgen holt das Unternehmen alle Kisten ab.“ Er lächelte. „Dann kannst du rein.“
„Ich finde es ja nett, dass du mir so mit dem Preis entgegen gekommen bist“, sagte sie und rührte wieder in ihrer Schokolade, in der die Eiscreme längst geschmolzen war.
„Wie du sagtest: Freundschaftspreis.“
Als sie zwei Tage später das alte Haus betrat, in dem sie den grössten Teil ihrer Ehejahre verbracht hatten, kamen ihr die schwer bepackten Männer von der Umzugsfirma entgegen. Sie hatten sich trotz der Hitze Schals um Nase und Mund gebunden, und ein fauliger Gestank stand in der Luft trotz einiger geöffneter Fenster.
„Dann müssen wir wohl noch ein bisschen mehr lüften“, gab sie zu bedenken und sperrte Türen und Fenster sperrangelweit auf, bevor sie sich auf einen Gartenstuhl auf der Terrasse niederliess. Sie bemerkte, wie einer der Arbeiter den Kopf schüttelte, bevor er sich das nächste Teil griff.
Sie hatte sich einen Kaffee in einem Thermosbecher mitgebracht und begann, genüsslich an der heissen Flüssigkeit zu nippen. Welch ein Unterschied zu der Zeit hier vor ein paar Monaten! Ihr Mann hatte schon Nacht für Nacht bei dieser anderen Frau verbracht, und weder ihr Weinen noch ihr Betteln hatten ihn von dem Entschluss abgebracht, dass sein Leben hier weitergehen sollte, umgeben von den vertrauten Dingen, nur ohne sie.
„Aber ich war es doch, die alles eingerichtet hat“, hatte sie sich beschwert. „Die Vasen, die Skulpturen, die Gemälde … all das habe ich doch in dein Leben gebracht!“
„Aber ich war es, der sie bezahlt hat“, hatte er aufgetrumpft. „Und der Ehevertrag gibt mir Recht.“ Er blieb unerbittlich.
So hatte sie Abschied nehmen müssen von all den Kunstwerken, die er ohne sie noch nicht einmal als Kunst wahrgenommen hätte. Das hatte sie auf die Idee gebracht mit den Schlachtabfällen, mit denen sie die Väschen gefüllt und die Skulpturen beschichtet hatte. Kein Wunder, dass er hier nicht wohnen wollte in diesem ekelerregenden Gestank, und dass er auch keine Möglichkeit des Verkaufs gesehen hatte, abgesehen von seiner naiven, nostalgischen Nochehefrau.
Ein bisschen tat er ihr leid, und sie überlegte, wie sie ihm helfen könnte. Da überreichte ein Umzugsmitarbeiter ihr einen Brief, und sie öffnete und besah, was ihr Mann geschrieben hatte.
„Ich hoffe, du hast die Nase nicht voll von unserem Geschäft“, las sie mit Tränen in den Augen. „Zurück geht es nicht, und komme bloss nicht auf die Idee, dass dir noch etwas von dem Kunstkram zusteht. Den will ich für mein neues Leben.“
Die Tränen rollten ihr aus den Augen, und ihre Brust vibrierte vor Lachen. Die Umzugsleute verstauten die letzten Sachen in dem Lastwagen, das Haus war leer.
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