Fernsehen ohne Fussball
Von: Elisha
Als wir im letzten Jahr die Hütte mieteten, hatten wir gar nicht auf das Datum geachtet. Irgendwann fiel es Carla auf, und sie fragte uns: „Es ist mitten in der Fussball-Weltmeisterschaft! Seid ihr sicher, dass ihr das wollt?“ Thomas reagierte als erster. „Mich nervt das sowieso! Dauernd und von allen Seiten wird man bedröhnt. Ich will nichts über Fussball hören oder sehen. Trotzdem gibt es einen Werbespot nach dem anderen.“ Er verzog das Gesicht.
Ich lächelte in mich hinein. Vor ein paar Jahren, als wir unser erstes Date hatten, hatten wir uns sicher gefühlt. Antizyklisch sozusagen. Wir hatten uns in einem kleinen Restaurant verabredet, in der Annahme, dass alle das Spiel sehen und wir uns quasi ungestört treffen könnten.
Der erste Teil der Annahme stimmte, die Leute sahen das Spiel. Was wir nicht vorhergesehen hatten: Fast jeder Laden in der Fressmeile hatte eine grosse Leinwand aufgestellt, und von allen Seiten grölten Fans und feuerten die Nati an. Wir flüchteten in ein kleines Café im ersten Stock, um dem Rummel unten zu entgehen. Nicht das Rendezvous, das wir uns vorgestellt hatten, aber es schweisste uns zusammen. Und über eins war ich, die aus einer Ehe mit einem eingefleischten Fussballfan kam, mir sicher: mit Thomas würde ich mich nicht wochenlang leise und nur zur Auffüllung von Snacks und Getränken dem Fernsehraum nähern dürfen. Der Anfang einer wunderbaren Beziehung …
Auch Ralf, Carlas Freund, war einverstanden gewesen. „ Zu Hause würde ich mir schon das ein oder andere Spiel angucken, aber für einen Kurzurlaub kann ich mir das verkneifen. Und die WM geht ja noch weiter, wenn wir wieder zu Hause sind.“
„Ein paar Tage Berge und Wanderung, was will ich mehr?“, hatte ich zugestimmt.
Wir waren also früh losgefahren und hatten mit Sack und Pack den Hang erreicht, an dem die kleine Holzhütte stand. Mit dem Schlüssel des Vermieters öffneten wir die knarrende Tür und rissen zum Lüften erstmal alle Fenster auf. Die Schlafsäcke warfen wir auf die einfachen Betten im Schlafraum.
„Was für ein Ausblick!“, schwärmte Thomas und entliess einen Seufzer, anscheinend ganz tief von innen. Ich ging zu ihm vor die Hütte. Ein paar Meter weiter stand eine rustikale Holzbank, von der man weit über das Tal zu den anderen Bergen sehen konnte. Wir setzten uns, und er legte seinen Arm um mich. Genau hier wollte ich sein, und ich freute mich auf Spaziergänge durch Wald und Wiesen und die einfachen Mahlzeiten mit den anderen.
„Wunderbar!“ Diesmal war ich diejenige, die seufzte.
„Hey ihr beiden! Sollen wir schon eine Erkundungstour machen?“ Carla lachte aufgeregt und deutete auf den Weg, der oberhalb der Hütte Richtung Gipfel führte. „Da kommen wir nach oben!“
Natürlich machten wir uns auf den Weg. Ralf erzählte von einer auf der Alm verloren gegangenen Kuh, die ihm mal unverhofft auf den Weg gesprungen war. „Ich habe mich so erschreckt, dass ich mir in die Hose gepinkelt habe.“
In dem Moment erklang ein kurzer, schwirrender Ton, und ein kleiner, brauner Vogel sprang von dem Baum über uns ins Gebüsch neben dem Weg.
„Na, ein Berglaubsänger erschreckt dich aber nicht, oder?“, erkundigte ich mich. Und Carla setzte noch einen drauf: „Was macht deine Hose?“ Sie lächelte spitzbübisch.
Ralf machte noch einen Versuch, uns zu überzeugen: „Mann, eine Kuh ist ganz schön gross, wenn die so plötzlich vor dir steht.“ Wir lachten alle.
Auch das Abendessen war fröhlich, obwohl unsere Waden und Oberschenkel die ungewohnte Belastung auf dem steilen Bergweg anzeigten. Danach quetschten wir uns zu viert auf die knorrige Bank.
„Fernsehen mal ganz anders!“, bemerkte ich.
„Ja, stimmt. Und die olfaktorische Untermalung ist auch gut.“ Carla schnüffelte mit einer Grimasse.
„Jetzt wäre es aber doch mal schön, das normale Programm zu sehen“, sagte Ralf leise. » „Wisst ihr, dass gerade das Spiel läuft? Wenn wir Sonntag zurückkommen, wissen wir gar nicht, wie wir abgeschnitten haben!“
„Und bei dieser WM ist ja alles möglich! Da laufen manche Spiele ungewöhnlich!“ Carla dachte laut nach.
„Na ja, wenn wir wieder beim Auto sind, haben wir Netz und können die Ergebnisse nachsehen. So lange müssen wir uns gedulden.“ Ich tätschelte Ralfs Schulter. Dann zeigte ich auf die ersten Lichter, die unten aus dem Tal zu sehen waren. „Schaut doch mal! Wie schön!“
Thomas zog mich noch etwas enger an sich. „Dann lasst uns mal noch ne Runde fernsehen, bis die Sterne draussen sind.“
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