Rrring
Von: Elisha
Das Baby lag friedlich auf dem Rücken, den Daumen im Mund, an dem es schmatzend saugte. Die andere Hand lag entspannt oberhalb des Kopfes, und die winzigen Finger waren zu einer kleinen, lockeren Faust eingerollt. Von Zeit zu Zeit zuckten die kleinen Füsse unter der Decke, und das Zebramuster verrutschte ein wenig, das durch die Gitterstäbe des Bettchens erzeugt wurde.
Fred beobachtete zufrieden den Monitor. Seine Augen hatten sich an das körnige Schwarz-Weiss-Bild gewöhnt, und statt eines grauen Klumpens konnte er mittlerweile selbst zarte Details erkennen. Er war stolz auf sich, nicht nur wegen seiner scharfen Augen. Schliesslich war es kein Kinderspiel gewesen, die Kameraübertragung herbeizuführen, und seine Computerkenntnisse hatten ihm dabei grosse Dienste geleistet. Er lächelte selig.
„Du immer mit deinem blöden Rechner“, hörte er Maries Stimme im Geist, als wäre es gestern gewesen. „Kannst du dich nicht einmal mit etwas anderem beschäftigen?“ Er sah sie noch auf dem Bett in seinem Zimmer sitzen, die rosa bemalten Lippen schmollend geschürzt, und in seine gute Laune drohte sich das unbestimmte Gefühl von damals zu mischen, dass er ihren Erwartungen nicht gewachsen war. Schnell wischte er es weg, wollte sich nicht seinen Triumpf verderben lassen.
Schliesslich ging es jetzt nicht darum, diese ewig lauernde Frage zu beantworten, warum sie die Beziehung beendet und sich diesem Langweiler angeschlossen hatte, der sie nicht nur geheiratet, sondern so bald geschwängert hatte. So oft er drüber nachgedacht hatte, hatte er doch keine Antwort darauf gefunden. Marie müsste doch wissen, dass es nur einen Mann für sie gäbe, müsste doch das Band zwischen ihnen spüren! Natürlich gab es die Möglichkeit, dass sie ihre Entscheidung längst bereut hätte und Tag für Tag mit ihrem Schicksal haderte. Bei dem Gedanken grinste er breit.
Das Kind drehte den Kopf, und Freds Blick folgte der Bewegung auf dem Monitor.
„Schöne Träume, kleine Prinzessin“, sagte er mit hoher Stimme, in schmeichelndem Ton.
Das Kind schlief entspannt weiter. Noch hatte er sich nicht entschieden, wozu er seine Macht gebrauchen würde. Es gab so viele Möglichkeiten: irres Kichern, laut hämmernde Musik, Hilfeschreie … Und die Eltern hätten keinen blassen Schimmer, warum ihr Balg so verstört wäre.
Sie hatten es mit ihrer Sorglosigkeit auch gar nicht anders verdient. Dass man der Welt mit Misstrauen begegnen musste, sagte einem ja der gesunde Menschenverstand. Die beiden hatten das aber nicht begriffen, gingen auf der Strasse eng umschlungen, sangen Lieder im Haus, lachten, und als Passwort ihrer Baby-Kamera „Passwort“ zu benutzen, war ja nun mehr als dämlich.
Fred wurde durch das Geräusch von Schritten aus seinen Gedanken gerissen. Also Action, dachte er bei sich und sprach mit seiner hohen Stimme: „Schau mal, Kleines, da kommt wieder diese Frau, die sich immer um dich kümmert!“ So einen Satz sagte er jedes Mal nur einmal, damit Marie sich fragen sollte, ob sie sich die Stimme nur eingebildet hatte. Vielleicht war sie ja auch ganz bleich vor Angst und traute sich kaum noch ins Kinderzimmer.
Er wartete gespannt darauf, dass sie ins Bild kam. Schon hörte er ihre Stimme, sanft und beruhigend wie sonst auch. Doch dann schob sich etwas vor das Kinderbett, und ihn packte das Grauen. Eine hässliche Fratze sah ihn direkt an, mit verwesender Haut und wirren langen Haaren. Um ihren Kopf schimmerte ein Ring wie ein falscher Heiligenschein, und ganz deutlich sagte sie: „In sieben Tagen wirst du sterben!“ Das war wie in dem Horrorfilm, den er mal mit Marie angesehen hatte. Ihm stockte der Atem, und seine Hose wurde vorne feucht. Während sich das Bild der Übertragung in immer gröbere Pixel auflöste und sich schliesslich ganz auflöste, klingelte im anderen Zimmer das Telefon: rrring.
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