Oder am Osterdienstag
Von: Elisha
„Hatschi!“ Corinna war untröstlich. Das Niesen war nicht so schlimm, aber der Hals tat ihr weh, ihre Nase schniefte ständig, und der Husten war rekordreif. Ausschlaggebend war aber das Fieber gewesen.
Damit können wir dich nicht reisen lassen“, hatte die Hausmutter gesagt und sie wieder ins Bett geschickt, während die anderen Kinder, mit denen sie die Kur verbracht hatte, eifrig ihre Sachen gepackt hatten. Und jetzt lag sie allein in dem Vierbettzimmer, und nicht nur die Mädchen fehlten. Die anderen Betten wirkten nackt ohne ihr Bettzeug, und Corinna fühlte sich hundeelend.
Dabei hatte die Kinderkur Spass gemacht. Sie waren viel an der frischen Luft gewesen, hatten einen Staudamm im kleinen Bach gebaut und Schiffchen darauf fahren lassen, hatten jeden Tag die Kletterseile erklommen, die vor dem Jugendheim einladend hingen und hatten im Schwimmbad tauchen geübt. Sie hatte sich kräftiger gefühlt, ihre Krankheit, die sie zu Hause wochenlang von der Schule ferngehalten hatte, längst vergessen. Nur dieser Infekt, der einige der Kinder und auch ihre Freundin Ann-Marie flachgelegt hatte, hatte inzwischen auch sie erwischt, und das ganz am Ende der Kur.
Corinna hustete wieder, und Tränen strömten dabei unbemerkt aus ihren Augen. Die Hausmutter hatte entschieden, dass sie erst fahren dürfe, wenn die Temperatur wieder unter 38 Grad gesunken wäre. Damit war Ostern nicht mehr zu schaffen gewesen, und mit wehmütigen Gedanken lag Corinna zwischen ihren angeschwitzten Laken.
Es gab nur zwei Osterfeste, bei denen die Suche nach Zuckereiern und Schokohasen ausgefallen war. In einem Jahr, als ihre Schwester Mia zum ersten Mal mitsuchen sollte, hatten sie begeistert losgelegt, aber nirgendwo etwas gefunden. Alle hatten sich gewundert, dass in den üblichen Verstecken wie unter dem Busch mit den gelben Blüten oder im ungemähten Gras hinten im Garten nichts zu finden gewesen war. Nur leere Nestchen aus künstlichem Gras hatten da gelegen, und Corinna hatte die Blicke bemerkt, die ihre Eltern sich zuwarfen. Als sie dann unter der Osterglocke zerdrückte Eierschalen hervorholte, hatte Mama gestöhnt: „Hier stimmt was nicht!“ Und dann hatte sie Erwin, den Hund, zu sich gerufen. In seinem dicken Schnauzbart fanden sie dann Krümel von Zucker und Schokolade, und selbst ein wenig Eigelb hatte sich verfangen. Der Osterhase hatte die Eier gebracht, und der Schnauzer hatte sie alle eingesammelt.
Corinna schmunzelte, während sie ihren Plüschhasen an sich drückte. Eigentlich hatte sie sich zu Hause gewehrt, ein Stofftier mitzunehmen. Schliesslich war sie doch kein Kleinkind mehr! Auch wenn daheim jede Nacht ihr kleiner Erwin, eine Miniausgabe des Familienhundes, in ihrem Bett schlafen durfte, hatte sie doch Angst davor gehabt, von den anderen Kindern verspottet zu werden. Ihre Mutter hatte dann den Hasi vorgeschlagen, hatte ihr erzählt, dass vor Ostern selbst Erwachsene ihre Wohnungen mit Häschen und Lämmern und Küken dekorierten. Jetzt war sie froh, das weiche Fell zu spüren, das sie an Erwin in klein und gross erinnerte. Oh, was hatte sie für Heimweh!
Corinna dachte an das andere Mal, bei dem sie zu Ostern leer ausgegangen waren. Das war zu einer Zeit, als selbst Mia nicht mehr an den Osterhasen glaubte. Ihnen war aufgefallen, dass ihre Mutter manche Einkäufe scheinbar unbemerkt im obersten Regal in der Speisekammer verstaute, und als vor Ostern ihre Eltern den zweiten Wagen in die Werkstatt brachten, hatten sie die Zeit genutzt, einen Stuhl in die Kammer zu schieben und einmal nachzuschauen. Was hatten da für herrliche Sachen gelegen!
„Komm, wir essen ein Ei!“, hatte Corinna vorgeschlagen, und Mia ein blau verpacktes Schokoei gereicht. Sie selbst hatte nach einem roten gegriffen, nach ihrer Lieblingsfarbe.
„Noch eins!“, hatte Mia begeistert gequietscht, und sie hatten sich über die weiteren hergemacht, erst die Schokolade, dann die Zuckereier, und zum Schluss hatten sie sogar den Hasen die Ohren abgebissen. So blieben nur zwei ohrenlose Schokotiere auf dem Bord, zusammen mit einem zerknüllten Ball aus glänzender Folie, als der Wagen ihrer Eltern in die Garage fuhr. Eilig hatten sie sich die braunen Spuren von den Lippen gewischt und den ganzen Abend auf die Schimpfe gewartet, die sie bekommen würden.
Aber ihre Eltern hatten weder gescholten noch gebrüllt, an dem Abend nicht, auch nicht am nächsten Tag, und Corinna und Mia hatten fast geglaubt, sie wären noch einmal davon gekommen. Nur am Ostersonntag, als sie aufgeregt ihre Suche im Garten angefangen hatten, dämmerte es ihnen: da gab es tatsächlich nur ein Ei aus bunter Folie und für jeden einen Schokohasen ohne Ohren.
„Seltsam“, hatte sich ihre Mutter laut gewundert, „was sich der Osterhase dabei wohl gedacht hat?“
Die beiden Schwestern hatte Blicke getauscht und dann mit den Schultern gezuckt.
Wehmütig griff Corinna nach einem Salbeibonbon auf ihrem Nachttisch und steckte es sich in den Mund. Nein, Süsses und Suche waren gar nicht so wichtig, aber sie sehnte sich so nach ihrer Familie. Die Hausmutter schaute zwar immer wieder, wie es ihr ging, aber das war doch kein Ersatz. Auch wenn sie jetzt ihre Schritte hörte, und ein Klopfen an der Tür.
„Corinna“, meinte sie beim Eintreten, „bist du fit genug, Besuch zu empfangen?“ Und dabei strahlte sie.
„Ich kenne hier doch keinen mehr ...“, stammelte Corinna leise, doch da schob sich schon eine schwarze Schnauze an dem Knie der Hausmutter vorbei, und Mias Stimme tönte: „Frohe Ostern, Schwesterherz!“ Dahinter kamen ihre Eltern, und Mama konnte sie gar nicht schnell genug umarmen in dem engen Zimmer.
„Ihr seid gekommen?“ Corinna konnte es kaum glauben. „Was ist denn mit der Eiersuche?“
„Wir haben gedacht, wir übernachten heute hier, und morgen nehmen wir dich mit nach Hause. Und suchen kann man auch am Ostermontag.“
„Oder am Osterdienstag“, meinte Mia und grinste verschmitzt.
Erwin war schneller in Corinnas Bett, als jemand ihn abhalten konnte, aber selbst die Hausmutter drückte ein Auge zu.
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