Speed Dating
Von: Elisha
Marie warf noch einen letzten Blick in den Spiegel, bevor sie die Wohnung verliess. Alles okay, Wimperntusche nicht verlaufen, kein Lippenstift auf den Zähnen, die Nase dank des Puders ohne Glanz. Bereit, Daniel, den potenziellen Mann ihres Herzens zu begeistern. Sie hatte überlegt, ob sie ihre Beine rasieren sollte, sich dann aber dagegen entschieden. Egal, wie gut das Date laufen würde, sie würde noch nicht mit ihm ins Bett steigen. Schliesslich wollte sie keinen Flirt für eine Nacht, sondern eine neue Beziehung. Da sollten sie sich erst einmal kennen lernen.
Sie erreichte als erste die Kneipe, zwei Minuten zu früh. Er kam pünktlich, ein erster Pluspunkt. Die Haare waren etwas länger als auf dem gesendeten Foto, aber das könnte der nächste Friseurbesuch verbessern. Insgesamt sah er nett aus, ganz hübsch, weder dick noch dünn, mit leicht muskulösen Oberarmen, grauen Augen, akkuratem Ziegenbart. Sie war zufrieden.
Schon vor dem Treffen hatten sie sich über ihren Musikgeschmack ausgetauscht. Jetzt erzählten sie von Konzertbesuchen.
„Hast du Faber auf der Bühne erlebt?“ Sie überlegte, wie sie die Erfahrung am besten beschreiben sollte. „Seine Stimme … seine Texte …“, suchte sie nach Worten.
„Es ist, als wäre er aus der Zeit gefallen,“ half er ihr.
„Genau! Dabei ist er erst dreiundzwanzig.“ Sie nippten an ihren Getränken, das Date lief gut. Eigentlich hatte es ihr gefallen, dass er nur einen Drink hier vorgeschlagen hatte. Doch jetzt überlegte sie, ob sie noch einen Abstecher in ein Restaurant machen sollten. Sie spürte Lust, ihn besser kennen zu lernen.
Ohne auf die Uhr zu sehen, schüttelte er den Kopf.
„Tut mir leid, ich habe noch Termine. Ein andermal?“
„Klar, kein Problem!“ Sie versuchte, die Enttäuschung nicht nach draussen dringen zu lassen. „Sollen wir dann gehen? Wo steht dein Auto?“
In dem Moment wurde eine Blondine an ihren Tisch geleitet, und der Kellner sagte leise: „Hier ist der Herr, den Sie suchen.“
„Sind Sie sicher?“ Ihr Blick streifte den Kellner und Daniel und blieb dann auf Marie haften.
„Pauline?“, fragte Daniel überrascht. „Du bist zehn Minuten zu früh.“
„Waaas?“, fragte Marie ungläubig, doch biss sich auf die Lippe. Sie wollte jetzt keinen Fehler machen. Natürlich konnte er noch einen Termin mit einer anderen Frau haben. Vielleicht war sie eine alte Freundin auf der Durchreise oder eine Geschäftspartnerin. Doch etwas hatte seltsam geklungen, die Art, wie er die andere nach dem Namen gefragt hatte, So, als sei er nicht sicher gewesen. Und Pauline fragte jetzt nach:
„Sag bloss, ich bin nicht dein einziges Date heute!“
Daniels Ohren röteten sich. „Wie gesagt, du bist zu früh.“
„Das gibt es doch gar nicht!“ Pauline drehte sich um, und auch Marie sprang auf.
„So nicht!“, presste sie enttäuscht zwischen den Zähnen durch und ging hinter der anderen her, durch die Reihen von Tischen bis zum Ausgang.
„Was für ein blöder Kerl!“, raunte sie Pauline zu. Die nickte.
„Sag mal, hättest vielleicht Lust, drüben was trinken zu gehen? Der Babysitter ist bezahlt, da würde ich gern noch …“
„Au ja“, sagte Marie schnell. „Unerwarteter Mädelsabend!“
Sie gingen in die Kneipe gegenüber und machten es sich bequem.
„Komisch“, meinte Pauline, „der sitzt immer noch da!“
„Wahrscheinlich muss er das erstmal verdauen.“ Marie lachte grimmig. „Dass wir nicht aufeinander, sondern miteinander los sind …“ Sie bestellte sich ein Glas Weisswein und meinte dann leise: „ Dabei war er ganz nett. Hätte was werden können.“ Sie seufzte.
Pauline schob ihr einen Bierdeckel zu. „Erzähl mal, wie bist du auf ihn gestossen? Oder noch besser: erzähl mir einfach was aus deinem Leben.“
Sie waren bei ihrem zweiten Glas Wein, als Pauline sie anstiess und auf das Lokal gegenüber deutete: „Guck mal, die etwa auch?“
Sie betrachteten beide eine junge Frau, die vom Kellner an Daniels Tisch gebracht wurde.
Diese setzte sich zu ihm, griff zur Getränkekarte.
„Sollen wir sie aufklären?“ Pauline zwinkerte.
„Oder wir warten noch. Können wir ja, wenn sie rauskommen.“ Marie nippte an ihrem Glas. „Wie alt sind deine Kinder?“
Sie waren ganz ins Gespräch vertieft und hätten beinahe nicht bemerkt, dass die junge Frau gegenüber aufgestanden war und allein zum Ausgang ging.
„Die schnappe ich mir“, sagte Pauline und lief hinüber, quer durch das Lokal, dann hinaus über die Strasse, hinüber zur anderen Seite. Marie sah zu, wie beide sprachen und gestikulierten, und dann zeigte Pauline auf ihren Tisch am Fenster und winkte Marie zu. Beide Frauen kamen an den Tisch.
„Das ist Kristin, dieselbe Geschichte wie bei uns.“ Pauline setzte sich und bot der Neuen einen Platz an. „Setz dich. Hattest du ein nettes Date?“
Es dauerte nicht lange, bis wieder eine Frau zu Daniels Tisch gebracht wurde.
„Sollen wir ihm mal unsere Meinung sagen?“, fragte Kristin.
„Ja, jetzt reicht´s!“ Pauline schlug mit der flachen Hand auf die Tischkante. „Speed Dating ist ja in Ordnung, aber dann sollten beide Parteien davon wissen.“
Sie standen alle auf. „Wir sind gleich wieder da“, sagte Marie dem Wirt. „Einen Augenblick.“
Daniel und die Neue sassen an demselben Tisch wie vorher. » „Warte noch einen Augenblick mit dem Bestellen“, riet Pauline der Frau. Und zu Daniel raunte sie, etwas lauter: „Mit wie vielen Frauen bist du eigentlich heute verabredet?“
Wieder wurden seine Ohren rot. Er schluckte und sagte dann leise: „Mit sechs.“
„Was ist das denn für eine bescheuerte Idee?“, schnaubte jetzt auch Marie. „Sechs Frauen an einem Abend an demselben Ort?“
„Na ja“, er fuhr sich mit den Fingern durch den Ziegenbart und sah von einer Frau zur anderen. „Ich bin Berater für Zeitmanagement und muss meine Freizeit gut einteilen.“
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