Nackte Tatsachen
Von: Elisha
Der Morgen hatte gut angefangen. Mit einem letzten Schnarcher war ich aufgewacht, bevor der Wecker geklingelt hatte. Die Sonne erschien rötlich am Morgenhimmel, eine Verheissung für einen schönen Tag.
Da ich früh dran war, hatte ich noch Zeit, meine Haarfarbe aufzufrischen. In einem kleinen Plastikbecher rührte ich das Hennapulver mit Wasser an, bis es eine schlammige, nach Moor riechende Masse wurde. Damit bedeckte ich meine Haare, verzweifelt bemüht, die Ohren nicht gleich mit zu färben. Mit einem feuchten Waschlappen wischte ich mir Spritzer aus der Ohrmuschel und wickelte ein altes Handtuch um den Kopf. Darüber zog ich eine Plastiktüte, um durch die entstehende Wärme den Färbeeffekt noch zu verstärken. Ich stellte den Kurzzeitwecker auf fünfundzwanzig Minuten und zog mir einen Morgenmantel über.
Perfekt, Zeit für das Frühstück! Schnell hatte ich Kaffee aufgebrüht und den Tisch gedeckt. Ich schloss die Haustür auf und trat nach draussen. Keine Zeitung weit und breit. Seltsam, normalerweise wurde sie immer im Dunkeln gebracht und lag bereits auf meiner Matte, wenn ich frühstücken wollte. Ich ging wieder ins Esszimmer und stellte das Radio an. „No milk today“, sang die Band aus dem Kasten. „Die habe ich noch“, sagte ich laut vor mich hin, als ich die Milchpackung aus dem Kühlschrank holte. „No news today“, sang ich dafür mit.
Als ich den letzten Bissen mit einem Schluck Kaffee herunter gespült hatte, piepte der Küchenwecker. Zeit zum Ausspülen, schliesslich wollte ich nur einen leichten Kupferton im Haar erzeugen. Ich entschloss mich, kurz unter die Dusche zu springen und alles abzuwaschen und warf Morgenmantel und Nachthemd über einen Stuhl in der Diele. Da läutete das Telefon.
„Mama, hast du es gesehen?“, drang eine wohlbekannte Stimme begeistert aus dem Hörer. Stimmte ja, Reporter hatten ein Interview mit meiner Tochter geführt.
„Ähm! Ich habe heute keine Zeitung bekommen.“
„Schade! Fast eine Seite lang, und sie haben zwei Fotos gebracht.“ Es sprudelte aus ihr heraus, aber mir wurde langsam kalt, so nackt im Flur.
„Gratulation! Ich kauf mir eine Ausgabe auf dem Weg zur Arbeit, und dann rufe ich dich später nochmal an.“
In dem Moment hörte ich draussen ein gedämpftes Tappen. Der junge Zeitungsbote hatte anscheinend verschlafen und erst jetzt mein Exemplar in den Eingang geworfen. Ich zählte langsam bis zehn, um ihm Zeit zu geben, weiter zu radeln und öffnete dann die Tür. Die Zeitung lag zwei Schritte weiter, und ich eilte darauf zu. In dem Augenblick ging der Bewegungsmelder wieder an, und ich stand in gleissendem Scheinwerferlicht. Ganz in der Nähe war eine fremde Frau, mit Taschenlampe, Zettel und einem Einkaufsroller, aus dem eine gefaltete Zeitung lugte. Die Mutter des Boten?
Trotz der Kälte wurde mein Gesicht ganz heiss, dazu fühlte ich ein Rinnsal an meiner Wange. Ich wischte es mit dem Finger ab, eine braune Brühe. Hoffentlich war meine Backe jetzt nicht mitgefärbt. Als ich mich nach der Zeitung bückte, rief sie mir zu: „Toni ist krank.“
Ich nickte und murmelte: „Gute Besserung!“ Schnell wollte ich ins Haus zurück.
„Eine Frage noch …“, setzte sie an, und ich befürchtete schon das Schlimmste, „… können Sie mir sagen, wo die Hausnummer neun ist?“
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